Sturm der Leidenschaft: Er suchte einen verborgenen Schatz - und fand die Liebe seines Lebens (German Edition)
der Ruhe des Landsitzes alles, was ein englischer Adliger können musste. Man brachte ihm richtiges Benehmen, Etikette und akzentfreies Englisch bei. Die ersten Bälle und Partys, die er während des vergangenen Monats in London besucht hatte, waren ein voller Erfolg gewesen. Mit Debütantinnen im Walzer übers Parkett zu schweben erwies sich als weit leichter als der Tanz mit seinen inneren Dämonen …
Kenneth musterte ihn prüfend. »Du glaubst, er wird jetzt da sein, nun, da die Saison richtig anfängt – der rothaarige Adlige … wie nannten die al-Hajid ihn noch gleich? Al-Hamra?«
»Ja. Sie nannten ihn den ›Roten‹. Ich habe eine andere Bezeichnung für ihn.«
»Er muss nicht unbedingt heute Abend dort sein.«
»Alles, was Rang und Namen hat, wird bei Huntlys Ball sein. Ich bin sicher, dass er auch dort ist. Er lebt in London, Kenneth, denn ich weiß genau, dass er es war, den ich letztes Jahr auf dem Platz gesehen habe.«
Im letzten Jahr, bevor er sein Leben als ägyptischer Krieger aufgegeben und seine wahre Identität gelüftet hatte, war Graham in London zu Besuch gewesen. Und bei einem Spaziergang im Park hatte er den rothaarigen Adligen gesehen, in dem er sicher war, al-Hamra wiederzuerkennen. An jenem Tag war er außerstande gewesen, seinem Peiniger gegenüberzutreten, und voller Angst zurück nach Ägypten geflohen, wo er sich für immer versteckt halten wollte. Damals hatte er geschworen, nie wieder nach England zu kommen. Kenneths und Badras hartnäckiger Überredung war zu verdanken, dass er seinen Schwur brach. Und ohne sie wäre er gewiss nicht hier. Viel zu schwer wogen seine Scham und seine Furcht.
Nun, da er wieder hier war und lernte, sein Leben als Engländer neu aufzunehmen, wich seine Scham zusehends einem erbitterten Zorn. Al-Hamra musste davon abgehalten werden, weitere verzweifelte, hilflose Kinder zu quälen. Und bei diesem Gedanken war ihm vor einiger Zeit plötzlich eine Idee gekommen – so kristallklar, als hätte sich ein Schleier von seinen Augen gehoben. Auf einmal bekam seine Wiedereinführung als Duke of Caldwell einen gänzlich neuen Sinn: Er würde die Bälle der Saison besuchen, dann seine Vergangenheit enthüllen und …
»Graham, alles, was Rang und Namen hat, denkt, du seist von einem exzentrischen englischen Ehepaar aufgezogen worden, das mit dir in verschiedenen arabischen Ländern lebte. Außerdem warst du erst acht Jahre alt, als … du weißt schon. Er kann dich unmöglich wiedererkennen.«
Graham sah gequält zu seinem Bruder auf. »Ich mache mir keine Sorgen, dass er mich wiedererkennen könnte. Ich mache mir Sorgen, dass …«
Beinahe hätte er es ausgesprochen. Er kniff die Lippen zusammen.
Sein Bruder lehnte sich vor und sah ihn mitfühlend an. »Fürchtest du, du könntest weglaufen wie beim letzten Mal?«
Wenngleich Kenneth gewiss nicht vorgehabt hatte, ihn zu verletzen, trafen Graham seine Worte. »Nein, ich fürchte keineswegs, dass ich weglaufen könnte. Vielmehr mache ich mir Sorgen, ich könnte, sobald ich ihn wiedererkenne …« Er lächelte so eisig, wie er sich innerlich fühlte. »Ich fürchte, ich könnte ihn töten.«
Sie war stets ein braves Mädchen gewesen – anständig, ruhig und höflich. Ja, Vater. Niemals Gefühle zeigen. Rücken gerade halten, wie Vater es will. Sie selbst war darüber zu einem Geist verkümmert. Eine rote Backsteinmauer, die das Feuer im Innern verbarg. Ja, das Feuer war da, brannte und wütete, drang jedoch nie nach außen. Niemals.
Jillian klopfte ihr Frühstücksei mit dem Messergriff auf – kleine rhythmische Schläge vollführend, so dass es sich anhörte wie das Picken eines Kükens, das sich aus seiner Schale befreite.
In Lord Strantons Haushalt gab es morgens ausschließlich hartgekochte Eier, weil ihr Vater nichts anderes zum Frühstück aß. Eines Tages, das schwor Jillian sich, würde sie morgens Rührei essen, vielleicht mit ein wenig Pfeffer und geriebenem Käse. Den ersten, weit größeren Schritt in Richtung Freiheit hatte sie allerdings in der letzten Nacht getan.
Der Earl of Stranton knurrte leise vor sich hin, während er mit gezielten Schlägen auf sein Ei eintrommelte. Sein rotes Haar ergraute zusehends und wurde lichter. Er war ein hagerer Mann mit einem teigigen Teint. Die leuchtend grünen Augen waren dieselben wie Jillians. Und ihnen entging nichts. Jillian spürte, wie ihr Puls sich beschleunigte. Ahnte er, was sie gemacht hatte?
Sie dachte an das verdiente Geld, das
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