Sturm der Leidenschaft
beugte er sich wieder vor und meinte: »Ich denke, wir sollten überlegen, was wir nun tun.«
Whitney schüttelte den Kopf. »Das ist unnötig. Ich weiß, wozu Sie verpflichtet sind.«
Dr. Whitticomb betrachtete sie amüsiert. »Zunächst einmal werde ich für die nächsten vierundzwanzig Stunden absolute Bettruhe verordnen. Nicht Ihnen«, setzte er lachend hinzu, als er Whitneys hocherfreute Miene bemerkte, »sondern Ihrer armen Zofe hinter mir, die offenbar nicht weiß, ob sie mich mit dem nächstbesten Gegenstand bewußtlos schlagen oder selbst in Ohnmacht fallen soll.« Er nahm das Hirschhornsalz vom Nachttisch und reichte es Clarissa. »Sie sollten auf den Rat eines extrem teuren Arztes hören«, sagte er betont ernst zu ihr, »und sich nicht weiter in die Intrigen dieser bezaubernden jungen Lady verwickeln lassen. Sie verfügen nicht über die dafür notwendige Konstitution. Abgesehen davon hat Ihre Miene Ihre Herrin schon im ersten Moment verraten.«
Nachdem Clarissa die Tür hinter sich geschlossen hatte, wandte sich Dr. Whitticomb Lady Anne zu. »Und Sie, Lady Gilbert, sind in keiner viel besseren Kondition als diese Zofe. Setzen Sie sich bitte.«
»Mir geht es gut«, murmelte Tante Anne, sank aber gehorsam auf das Bett.
»Besser als gut«, schmunzelte der Arzt. »Ganz ausgezeichnet, würde ich sagen. Sie haben Ihre Nichte nicht einmal mit einem Wimpernzucken preisgegeben.« Als nächstes war Whitney das Opfer seines durchdringenden Blickes. »Und wie wird Ihr künftiger Ehemann Ihrer Meinung nach auf diesen Täuschungsversuch reagieren?«
Whitney schloß die Augen. »Er wird außer sich sein«, sagte sie leise. »Aber damit mußte ich rechnen.«
»Dann wäre also nichts damit gewonnen, ihm diesen Täuschungsversuch zu gestehen, oder?«
Whitney riß die Augen wieder auf. »Ich dachte, Sie würden ihm die Wahrheit sagen.«
»Die Wahrheit, die ich ihm sagen muß, junge Lady, ist folgende: Die Diagnose der Verletzung eines Gelenks, jedes Gelenks, kann sehr schwierig, mitunter sogar unmöglich sein. Obwohl keine Schwellung vorliegt, kann ich nicht mit Sicherheit ausschließen, daß Sie sich Ihren Knöchel genau auf die von Ihnen beschriebene Art und Weise verletzt haben. Alle weiteren Erklärungen müßten von Ihnen kommen. Ich bin hier als Arzt, nicht als Informant.«
Whitneys Stimmung hob sich beträchtlich. Nachdem sie Dr. Whitticomb mindestens dreimal überschwenglich gedankt hatte, fragte sie vorsichtig: »Vermutlich können Sie Seiner Gnaden nicht sagen, daß ich das Bett hüten muß?«
»Nein«, entgegnete der Arzt. »Das kann und will ich nicht.«
»Das verstehe ich völlig«, meinte Whitney großzügig. »Es war nur so ein Gedanke.«
Dr. Whitticomb ergriff Whitneys Hand und meinte lächelnd: »Seit vielen Jahren bin ich ein Freund der Familie Westmoreland. Auch Sie werden bald zu dieser Familie gehören, und ich würde mich freuen, wenn wir gleichfalls Freunde sein könnten ...«
Whitney war zwar fest entschlossen, kein Mitglied dieser Familie zu werden, aber sein Freundschaftsangebot nahm sie mit einem Kopfnicken an.
»Gut. Dann lassen Sie mich Ihnen einen Rat unter Freunden geben. Ihrem Verlobten Ihre Gesellschaft zu verweigern, ist nicht nur töricht, sondern auch riskant. Für mich war es offensichtlich, daß Seine Gnaden eine große Zuneigung zu Ihnen empfindet. Ich bin davon überzeugt, daß er Ihnen alles geben würde, was Sie nur wollen, wenn Sie ihm einfach Ihr bezauberndes Lächeln schenken und ihn darum bitten.«
Unhörbar knirschte Whitney mit den Zähnen. Warum riet ihr nur jedermann, diesem Mann gegenüber so willfährig wie möglich zu sein? Das war beleidigend! Entwürdigend! »Ich weiß, wie gut Ihr Rat gemeint ist, Doktor Whitticomb«, erwiderte sie mit einem angestrengten Lächeln. »Ich ... ich werde darüber nachdenken.«
Dr. Hugh Whitticomb saß bereits vor dem Kamin und sprach dem hervorragenden Brandy seines Gastgebers zu, als Clayton von einem kurzen Besuch bei Whitney zurückkehrte. »Nun, wie fanden Sie meine junge Patientin?« erkundigte er sich, als Clayton sich gleichfalls ein Glas einschenkte.
Dieser setzte sich und musterte den Arzt leidenschaftslos. »Ich traf sie ebenso an wie Sie vermutlich heute nachmittag: auf ihren zwei Beinen stehend.«
»Das scheint Sie nicht besonders zu erfreuen«, bemerkte Dr. Whitticomb leichthin.
»Ich traf sie dabei an«, wurde Clayton ein bißchen deutlicher, »wie sie gerade den Heiratsantrag eines ihrer Cousins
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