Sturm der Leidenschaft
zusammenzureimen, was er da gerade gehört hatte. Vor kurzem waren ihm in London zwar wilde Gerüchte zu Ohren gekommen, daß sich Clayton verlobt hätte oder zumindest kurz davor stünde, doch er hatte sie als das übliche Geschwätz abgetan. Aber es mußte wahr sein, und das Mädchen war diese Whitney.
Als sich die Brüder am nächsten Morgen auf der Freitreppe voneinander verabschiedeten, konnte keiner von ihnen ins helle Sonnenlicht blicken, ohne zusammenzuzucken. Die Herzogin winkte Clayton liebevoll nach und drehte sich dann zu Stephen um. »Er sieht ja fürchterlich aus.«
»Er fühlt sich auch fürchterlich.«
»Stephen«, begann sie entschlossen, »es gibt da etwas, worüber ich mit dir sprechen möchte.« Sie rauschte in den Salon, schloß fest die Tür und ließ sich auf den nächstbesten Sessel fallen. Dann nahm sie sich ungewöhnlich lange Zeit, die Falten ihrer Robe zu glätten. »In der vergangenen Nacht konnte ich nicht schlafen«, begann sie zögernd, wurde aber immer schneller. »Also ging ich in der Absicht hinunter, euch ein wenig Gesellschaft zu leisten. Aber als ich die Tür zum Salon erreicht hatte, kam ich nicht umhin festzustellen, wie betrunken ihr wart und wollte euch auf der Stelle sagen, wie sehr ich mich schäme, zwei Trunkenbolde zu Söhnen zu haben, als ich . . . als .. .«
Bei der Erwähnung der »Trunkenbolde« zuckten Stephens Lippen vor Lachen, dann wurde er jedoch wieder ernst. »Als du gehört hast, was Clayton mir erzählte?« kam er ihr zur Hilfe.
Sie nickte kläglich. »Wie konnte er so etwas nur tun?«
»Ich bin nicht sicher, warum er es getan hat«, äußerte Stephen vorsichtig, »aber offenbar empfand er etwas für das Mädchen, und er ist ein Mann ...«
»Behandele mich nicht wie eine Schwachsinnige«, unterbrach ihn seine Mutter erregt. »Ich bin eine erwachsene Frau. Ich war verheiratet und habe zwei Söhne geboren. Ich bin mir sehr wohl bewußt, daß Clayton ein Mann ist und als solcher gewisse . . . äh ...«
»Gewisse Bedürfnisse hat?« half Stephen wieder aus, während seine Mutter schnell ihren Fächer vor ihr hochrotes Gesicht hob. »Aber darauf wollte ich gar nicht hinaus«, fuhr er fort. »Ich meinte vielmehr, daß er ein Mann ist, der schon immer von Frauen umschwärmt wurde, aber für keine von ihnen genug empfand, um ihr einen Antrag zu machen. Offensichtlich hat er jetzt die Frau gefunden, die er heiraten möchte. Wenn er ihrem Vater hunderttausend Pfund gab, gehe ich davon aus, daß dieses Mädchen arm ist und über keine Mitgift verfügt. Aber dennoch hat es ihn abgewiesen.«
»Dieses Mädchen muß mit Dummheit geschlagen sein, um deinen Bruder abzuweisen«, erklärte die Herzogin hitzig.
Stephen lächelte über ihre mütterliche Loyalität, schüttelte dann aber den Kopf. »Das halte ich für unwahrscheinlich. Für dumme, einfältige Geschöpfe hat sich Clayton noch nie interessiert.«
»Wahrscheinlich hast du recht«, seufzte die Herzogin und stand auf. An der Tür blieb sie noch einmal stehen und warf Stephen einen traurigen Blick über die Schulter hinweg zu. »Ich glaube«, stellte sie ruhig fest, »ich glaube, er muß sie angebetet haben.«
»Das hat er getan.«
Clayton überflog das Dokument, mit dem der Verlobungsvertrag aufgehoben wurde, Unterzeichnete es und schob es dem Anwalt wieder zu. »Da wäre noch etwas«, sagte er, als sich der Anwalt erhob. »Sorgen Sie dafür, daß dieser Brief und ein Scheck über zehntausend Pfund zusammen mit diesem Dokument Miss Stone überreicht werden.«
Er zog die Schublade seines Schreibtisches auf, entnahm ihr einen Briefbogen mit dem herzoglichen Siegel und starrte ihn sekundenlang schweigend an.
Er konnte nicht glauben, daß es tatsächlich dazu gekommen war. Warum mußte es nur so enden? Mit diesem schmerzlichen Gefühl eines unsagbaren Verlustes, wo er doch noch vor wenigen Wochen so zuversichtlich gewesen war, daß Whitney bald als Braut neben ihm stehen würde?
Er zwang sich dazu, zur Feder zu greifen und schrieb die Worte: »Nehmen Sie bitte meine aufrichtigen Wünsche für Ihr Glück entgegen und übermitteln Sie sie auch Paul. Der beiliegende Scheck ist als Hochzeitsgeschenk gedacht.« Clayton wußte, daß Whitney wegen des Geldes einen Tobsuchtsfall bekommen würde, aber er konnte den Gedanken nicht ertragen, daß sie das Geld für ein neues Kleid zusammenkratzte, wie sie es als Sevarins Frau mit Sicherheit tun müßte. Und wenn sie ihn aufgrund irgendeines Wunders nicht heiratete,
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