Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
Baumstumpf, verstand jedoch nicht, was hier vorging. Fast hatte sie den Eindruck, der Stumpf habe sich ein Stück bewegt, sodass ihn jetzt nur noch ganze fünf Yard von ihr trennten. Ob sie nicht doch besser weiterfloh? Doch noch in derselben Sekunde schraubte sich der Stumpf in die Luft und stürzte sich auf sie, um seine Wurzeln um sie zu schlingen.
Anschließend wurde sie über die Birke geschleudert und schlug mit dem Rücken auf dem Boden auf. Schreiend und zappelnd wollte sie sich aus der Umklammerung der Wurzeln befreien, doch der verfluchte Baumstumpf hielt sie fest gepackt. Kurz darauf konnte sie ihre Beine nicht mehr bewegen.
Nun sah sie auch Gritha, die auf die Lichtung trat. Die Nekromantin kam auf sie zu, hockte sich neben sie und strich zärtlich über den bemoosten Stumpf. Der schnurrte prompt zufrieden los.
»Man sollte dich wirklich nicht unterschätzen«, wandte sich Gritha an Algha, wobei ihre Stimme den gewohnten hochnäsigen Ton vermissen ließ. »Du hast uns ganz schön auf Trab gehalten.«
Als Nayl aus dem Wald herausstapfte, verriet sein Gesicht nicht, was er dachte. Seine Haare waren allerdings zerzaust und nass …
»Und? Was hast du jetzt erreicht?«, fragte er Algha. »Nichts, außer dass du wie eine erbärmliche nasse Maus aussiehst.«
Algha begriff, dass sie dieses Spiel verloren hatte. Sie ließ die Schultern hängen und sackte in sich zusammen. Schon im gleichen Moment richtete sie sich jedoch wieder auf und sah dem Nekromanten herausfordernd in die farblosen Augen.
»Sie hat es immerhin versucht, Nayl«, stellte sich Gritha überraschend auf die Seite der Gefangenen. »Dergleichen habe ich schon seit Langem nicht mehr erlebt.«
Der Mann nickte bloß. Auch diesmal ließ sich nicht sagen, was er dachte. Anscheinend konnte ihn nichts auf dieser Welt erschüttern.
»Nur war es ein aussichtsloser Versuch«, murmelte er schließlich.
»Ich werde wieder fliehen«, spie Algha aus.
»Solange du diesen Armreif trägst, werden wir dich immer finden«, entgegnete Nayl. »Spar dir also besser jede Flucht.«
Anschließend schnippte er mit den Fingern, worauf der Baumstumpf Algha freigab. Diese spürte, wie eine unsichtbare Schnur ihre Hände fesselte. Nun tauchte auch der schnaufende, rotgesichtige Hiram auf. Er packte sie, warf sie sich über die Schulter und trug sie lauthals fluchend zurück.
Zum Fluss, an dem das Boot wartete.
Nadel saß am Bug und verfolgte argwöhnisch jede auch noch so kleine Bewegung Alghas, obwohl ihre linke Hand doch an die Ruderbank gefesselt war, damit sie nicht noch einmal ins Wasser springen konnte.
Seine gebrochene Nase war inzwischen derart angeschwollen, dass die Augen viel kleiner wirkten. Fast wie Schweinsäuglein. In seiner Wut hätte er Algha am liebsten vermöbelt, aber ein scharfer Befehl Nayls vereitelte alle entsprechenden Pläne.
Sobald sie das Boot vom Ufer abgestoßen hatten, trocknete Gritha die Kleidung der durchgefrorenen Algha.
»Was soll das denn?!«, maulte Nadel. »Soll sie doch ruhig mit den Zähnen klappern.«
»Halt den Mund, du Dummkopf«, fuhr Gritha ihn an.
»Willst du ihr vielleicht auch noch einen neuen Rock nähen?«, giftete Nadel weiter.
»Jetzt reicht’s. Halt endlich den Mund! Bei deinem Genörgel kann ich das Boot nicht steuern.«
Sie fuhren noch einige Stunden stromaufwärts nach Nordosten, womit sie sich immer weiter von den großen Straßen entfernten und sich den Gegenden näherten, in denen der Krieg tobte.
Als die Sonne hinterm Wald unterging, erreichten sie eine kleine Stadt, wo sie in einer lausigen Absteige die Nacht zubrachten. Früh am nächsten Morgen brachen sie wieder auf.
Keiner von Alghas Peinigern scherte sich um etwaige Zeugen. Obwohl die Gegend nur dünn besiedelt war, trafen sie häufig auf Fischer und Flößer. Anfangs hatte Algha noch darüber gegrübelt, warum diese Männer nicht stutzig wurden, wenn sie sahen, wie schnell sie vorankamen, ohne die Ruder zu benutzen. Dann aber begriff sie, dass Nayl den Blick aller Außenstehenden abgelenkt und das Boot in eine Art Seifenblase gehüllt hatte.
»Wohin fahren wir eigentlich?«, fragte Algha. »Zu den Seen?«
»Dahin, wohin wir müssen«, knurrte Nadel.
»Hat dir das kleine Bad gestern gefallen?«, fragte sie zurück.
»Halt die Schnauze!«, fauchte Nadel sie an, griff mal wieder nach seinem Messer und warf es in die Luft, wobei ihm ins Gesicht geschrieben stand, dass er ihr die Klinge am liebsten ins Herz gerammt hätte.
Hiram fing
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