Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
an?«
Dazu war ich inzwischen nämlich schon zu schwach. Aber Lahen tat gern, worum ich sie gebeten hatte, ohne meine linke Seite dabei auch nur eine Sekunde loszulassen.
»Bist du sicher, dass deine Freundin hier wohnt? Das sieht eher wie ein Laden der Ye-arre aus.«
»Das ist es auch.«
»Und warum dauert das dann so lange, bis die aufmachen?!«
Sie hämmerte noch einmal gegen die Tür. Zum ersten Mal zeigte sie Anzeichen von Ungeduld.
»Wen weht der Wind denn da herein?«, erklang von drinnen eine zänkische Stimme.
»Ich bin’s, Yola«, antwortete ich. »Mach auf.«
Der Riegel wurde zurückgeschoben, ein kleines Glöckchen bimmelte. Lahen und ich fielen buchstäblich in den Laden und hätten dabei beinah die Ye-arre umgeworfen. Kurz bevor ich ohnmächtig wurde, nahm ich noch einen riesigen Schatten wahr.
»Das ist ein Freund«, rief ich Lahen zu.
»Hilf dem Mädchen, du verfluchter Blutegel!«, fuhr Yola den Blasgen an. Sofort erlöste Khtatakh Lahen von der Last meiner Person.
»Leg ihn auf den Tisch! He, Grauer, du tropfst mir den ganzen Boden mit deinem Blut voll! Den krieg ich ja nie wieder sauber! Geh weg, Mädchen! Wie hast du es überhaupt fertiggebracht, diesen Klotz hier herzuschleifen?! Wo ist das passiert, Ness?«
»Unterwegs«, brummte ich.
»Kwümmer dich lieber um die Wunde, Kwükwen«, verlangte Khtatakh. »Statt hier rumzuzetern.«
»So weit kommt es noch, dass ich mir von einem hirnlosen Froschmaul sagen lasse, was ich zu tun habe!«, grummelte sie, während sie jedoch schon mit ihren Instrumenten klapperte. »Mädchen, geh mal da an die Kommode und bring mir eine Schere. Blutegel, du hältst unseren Freund fest.«
Der Blasge drückte mich mit aller Gewalt auf den Tisch runter, sodass ich kaum noch Luft bekam. Yola hielt mir ein Fläschchen mit irgendeinem stinkenden Zeug unter die Nase. Es widerte mich derart an, dass ich beschloss, mich vor dem Geruch in Sicherheit zu bringen, indem ich jetzt wirklich ohnmächtig wurde. Außerdem hatte ich in diesem Zustand Ruhe vor meinen beiden streitsüchtigen Freunden. Das Letzte, woran ich mich erinnerte, waren Lahens blaue Augen …
»Wie spät ist es?«, fragte ich, als ich zu mir kam.
»Es tagt bald«, antwortete Yola, die über ihren Karten saß. Dann fügte sie hinzu: »Zwei Tage lang hättest du am liebsten die Hufe abgegeben. Außerdem hast du mir den ganzen Laden mit deinem Blut beschmiert. Deshalb habe ich eigentlich angenommen, du würdest noch ein paar Tage weiterschlummern.«
Vor ihr stand eine halb heruntergebrannte Kerze. Obwohl meine linke Seite noch immer schmerzte, setzte ich mich auf.
»Zappel nicht so rum, sonst platzen die Nähte wieder auf«, knurrte Yola sofort.
»Aber ich werde das doch überstehen, oder?«
»Das lässt sich noch nicht sagen. Die haben dich ordentlich angebohrt. Auf dem Stuhl neben dem Bett steht ein Becher. Trink was davon.«
Ich befolgte ihren Befehl. Von der Medizin schmeckte ich kaum etwas.
»Ist Lahen gegangen?«
»Ich habe sie ins Bett geschickt, sonst hätte das Mädchen noch ewig bei dir gesessen«, sagte sie, während sie die Karten mischte. »Möchtest du, dass ich dir die Karten lege?«
»Nur zu«, antwortete ich. Eher würde sie ja doch keine Ruhe geben. Derweil hing ich meinen eigenen Gedanken nach: Diese Kinderfrau aus den Reihen der Schreitenden, die Moltz offenbar noch etwas schuldete – warum sollte sie sonst so gut auf mich aufpassen? –, war wirklich gerade noch rechtzeitig auf den Plan getreten.
Inzwischen hatte ich auch gar nichts mehr gegen ihre Gesellschaft einzuwenden. Ihre Entschlossenheit gefiel mir.
»Willst du etwas über sie wissen?«, fragte Yola, die meine Gedanken gelesen zu haben schien.
»Mhm.«
Yola kam zu mir ans Bett und hielt mir den Stapel Karten hin. Ich deckte die oberste auf. Es war der Schlüssel.
»Vergangenheit oder Zukunft?«, erkundigte sich Yola.
»Vergangenheit.«
»Die letzte Zeit oder weiter zurück?«
»Weiter zurück.«
Sie verteilte die Karten vor mir.
»Welcher Stapel?«, fragte sie.
Ich zeigte auf den sechsten von links. Yola legte mit ihm ein Muster auf den Tisch, hielt jedoch schon bald inne.
»Ich bin vermutlich zu müde«, murmelte sie. »Das ergibt ja alles keinen Sinn. So was ist mir noch nie passiert. Wie es aussieht, ist ihre Vergangenheit noch dunkler als deine.«
»Dann lass uns etwas über die nächste Zukunft in Erfahrung bringen«, schlug ich vor.
Eigentlich wäre ich ja am liebsten auf der Stelle wieder
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