Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
Matsch verwandelt hatten, kam nun ein Pferd mit nasser Mähne und einem kümmerlichen, fast abgeschnitten anmutenden Schweif herauf. Der Reiter trug einen langen Umhang, die Kapuze hatte er tief ins Gesicht gezogen. Niemand hielt ihn auf. Sobald er die Spitze erreicht hatte, eilte Kadir in den Regen hinaus und fasste nach den Zügeln des Hengsts.
Der Reiter trat unter die Kuppel und schob die Kapuze zurück: Eine Frau stand vor Algha. Sie hatte schwarzes Haar, durchdringende graue Augen und ein einnehmendes Gesicht. Als Algha genauer hinsah, machte sie den dunklen Funken der Reiterin aus.
Obendrein verfügte sie über eine starke Gabe. Eine sehr starke. Sie war kaum schwächer als die Blatters und weitaus stärker als die von Pest.
»Du hast dir Zeit gelassen, Tochter des Morgens«, begrüßte Blatter sie. »Die Schlacht hat bereits ohne dich angefangen.«
»Ich bin aufgehalten worden, Sterngeborene«, antwortete die Verdammte Scharlach bloß. Ihr Blick huschte kurz zu den beiden Schreitenden. »Es ist an der Zeit, eine Seite im Buch umzuschlagen, nicht wahr?«
»O ja, das ist es.«
Unmittelbar darauf durchbohrte ein goldener Strahl diesen tristen grauen Tag. Die Lichtsäule schlug hoch in den Himmel auf und verdampfte allen Regen, um dann in die Erde einzuschlagen und sich über sie hinwegzuschlängeln. Ein ohrenbetäubendes Donnern war zu hören.
Nun loderte eine blutrote Flamme auf, die jedoch gleich wieder in sich zusammenfiel – um an anderer Stelle erneut emporzuzüngeln.
»Der Koloss!«, schrie Batul entsetzt. »Der Koloss ist erwacht!«
Abermals peitschte Licht auf die Erde ein. Diese bebte und schrie vor Schmerz. Algha starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Flamme, die wie ein riesiges Banner im Wind flatterte.
»Hast du nicht gesagt, Ley könne das Ritual durchführen?!«, schrie Scharlach mit einem vor Wut verzerrten Gesicht.
Blatter blieb ihr die Antwort indes schuldig. Stattdessen sprang sie von ihrem Thron auf und starrte auf die sterbende Armee Leys.
Der grelle Strahl peitschte unerbittlich auf sie ein. Überall donnerte und explodierte es.
»Beim Falken!«, hauchte Blatter. »Er darf nicht sterben!«
Hinter ihr brach Mitha in ein schreckliches, gehässiges Gelächter aus. Wahrscheinlich hat sie nun endgültig den Verstand verloren, dachte Algha.
»Niemand kann über den Koloss gebieten, es sei denn, er oder sie besitzt das wahre Blut!«, keifte sie. »Niemand!«
Sofort rammte ihr Kadir das Bein in die Brust. Mithas Gelächter ging in einen Schmerzensschrei über. Das Werk des Skulptors jedoch setzte das Morden fort. Niemand hätte zu sagen vermocht, wie viele Feinde der Koloss bereits getötet hatte.
»Wir müssen uns zurückziehen!«, sagte Scharlach, die den Schreck als Erste überwand. »Wir müssen uns zurückziehen, bevor es zu spät ist! Noch ist nicht alles verloren! Gib Befehl zum Rückzug!«
Blatter schien sie überhaupt nicht zu hören.
Sie hatte nur Augen für einen dicken, schlangenartigen Strahl, der mit einem entsetzlichen Heulen von Norden heranschoss, die Einheiten von Blatters Armee verbrannte – und schließlich am Fuße des Hügels einschlug.
In dieser Sekunde ging die Welt Alghas in goldenem Licht unter.
Kapitel
29
»Sie sind ein vortreffliches Paar. Rona ist ein sehr begabtes Mädchen mit einem einmaligen Funken. Ein solches Licht habe ich noch nie zuvor gesehen.«
»Licht?«,
fragte ich erstaunt zurück.
»Reden wir hier über dieselbe Rona? Über jene Schreitende in unserer Gesellschaft, in deren Funken nach dem dummen Verhalten Shens und dem Unterricht bei Thia nicht weniger Dunkel steckt als in deinem?«
»Ich spreche von ihrer Seele.«
»Oh.«
»
Es gibt gute Menschen«,
erwiderte Lahen lachend, denn sie spürte meine Zweifel.
»Und es gibt schlechte. Die einen sind von den anderen manchmal gar nicht so leicht zu unterscheiden. Ich bin froh, dass Shen Rona nach der Umschmiedung heilen konnte. Da hat er ein wahres Wunder vollbracht.«
In dieser Frage konnte ich ihr nur uneingeschränkt zustimmen. Der Unterschied zwischen jener Rona, die wir als Gefangene bei Lepra getroffen hatten, und der heutigen sprang jedem sofort ins Auge.
»O ja, sie hat es weit gebracht, seit sie sich uns angeschlossen hat«,
scherzte ich.
Lahen lachte erneut. Eine größere Freude hätte sie mir gar nicht machen können. Wir gierten förmlich danach, miteinander zu sprechen, hatten unsere Unterhaltung nur für zwei oder drei Stunden Schlaf heute Nacht
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