Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
machte er es sich auf einem dreibeinigen Hocker neben der Tür zur Diele bequem.
Alghas Magen knurrte verräterisch. Ihr Blick huschte zu dem Vorhang hinüber, hinter dem sich das Zimmer befand.
»Das würde ich dir nicht raten«, sagte Krächz prompt. »Es gibt hier nur einen Ausgang, und den bewache ich. Du würdest also bloß die Kinder erschrecken.«
Kurz darauf quietschte die Eingangstür, und in der Diele trat sich jemand die Stiefel ab. Dann kam Axt ins Zimmer, wechselte einen Blick mit Krächz und nickte kaum merklich.
»Bist du sicher?«, fragte Krächz.
Es folgte ein weiteres Nicken.
»Gut. Sieh mal nach den Gören.«
Sobald Axt hinter dem Vorhang verschwunden war, verstummten die Stimmen der Kinder. Die Frau holte einen Topf aus dem Ofen, stellte ihn vor Algha auf den Tisch und füllte ihr etwas Suppe in einen Teller.
»Iss.«
Algha zwang sich mit aller Gewalt, die schmackhafte Suppe aus Gemüse und Fleisch nicht hinunterzuschlingen. Mit jedem Löffel kehrte ihre Kraft zurück.
Seit dem Augenblick ihrer Gefangennahme war fast eine Woche vergangen. In dieser Zeit war ein neues, für sie völlig freudloses Jahr angebrochen. Sie erinnerte sich noch gut an jede Minute in dieser Schenke, in der Rayl sie verraten hatte.
Der Nekromant hatte sie immer wieder nach dem Heiler gefragt, aber sie hatte ihm keine Antwort gegeben. Denn sie wusste keine. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, von wem der Mann sprach. Als sie aus der Schenke gebracht werden sollte, hatte sie sich mit Händen und Füßen gewehrt, bis man sie gefesselt, ihr einen alten Lappen in den Mund gestopft und einen nach Mäusedreck stinkenden Sack über den Kopf gezogen hatte. So hatte man sie hinausgeschleppt und auf etwas Hartes geworfen. Sie war mit dem Kopf aufgeschlagen und hatte vorübergehend das Bewusstsein verloren.
Als sie wieder zu sich gekommen war, hatte sie begriffen, dass man sie irgendwo hinfuhr. Ihre Versuche, sich von den Fesseln zu befreien, waren umgehend mit Tritten beantwortet worden …
»Schling nicht so«, blaffte Krächz sie jetzt an. »Niemand hat vor, dir die Suppe wegzunehmen. Iss also langsam!«
Während der langen Reise hatte sie unablässig versucht, Widerstand zu leisten. Sie hatte um sich geschlagen, gebissen, gekratzt und getreten. Jedes Mal folgte die Strafe auf dem Fuß. Diese Pflicht hatte Axt nur zu gern übernommen. Verprügeln tat er sie nur selten, und wenn doch, dann so, dass nicht einmal blaue Flecken davon zeugten. Meist begnügte er sich mit Ohrfeigen, die freilich noch demütigender waren. Häufig wurde ihr auch das Essen oder der Schlaf entzogen, oder sie wurde, wie in dieser Nacht, in die kalte Scheune eingeschlossen.
»Klara«, sagte Krächz leise, »du musst weg.«
»Sofort?«, fragte die Frau zurück.
»Ja. Nimm die Kinder und geh in die Stadt. Zu deiner Tante«, sagte Krächz, ohne die Frau anzusehen. »Komm heute nicht mehr zurück. Und morgen … morgen besser auch nicht. Pack jetzt.«
Die Frau stellte einen Becher mit heißem Johanniskrauttee vor Algha hin und ging ins Nebenzimmer. Das kleine Mädchen weinte leise. Es wollte nicht wegfahren.
»Du willst wohl zu gern wissen, was hier Sache ist?«, fragte Krächz und grinste in seinen spärlichen Bart, als er Alghas Blick auffing. »Aber ich mach dir gern die Freude und verrat’s dir: Herr Dawy kommt zu Besuch. Dem brauchen Klara und die Kinder nicht unbedingt zu begegnen.«
Herr Dawy! Das war dieser verfluchte Nekromant. Dieses Tier, das sich schneller bewegte als die Gedanken und das fast unsichtbar werden konnte. Algha hatte ihn seit dem Abend, da man Rayl in der Schenke die Kehle aufgeschlitzt hatte, nicht mehr gesehen.
Der Sdisser war verschwunden, als interessiere ihn Algha mit einem Mal nicht mehr, und hatte sie in der Obhut von Krächz und Axt zurückgelassen.
Jetzt tauchte Klara zusammen mit den beiden Kindern wieder in der Küche auf. Sie knöpfte sich mit zitternden Fingern die Jacke zu. Das weinende Mädchen rieb sich mit den Fäusten die roten Augen, der Junge schaute mürrisch drein. Nachdem Klara sich bereits von Krächz verabschiedet hatte, verlor sie überraschend die Beherrschung, brach ebenfalls in Tränen aus, schlug das Zeichen des Meloth über dem Mann und eilte hinaus.
»Ist der Kummer dieser Frau der Preis, den man zahlt, wenn man sich mit dem Reich der Tiefe einlässt?«, wollte Algha wissen.
»Das geht dich gar nichts an, Schreitende.«
»Es würde mich allerdings nicht wundern, wenn dich dieser
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