Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
Nekromant am Ende auch umbringt.«
»Wenn ihr könntet, wie ihr wolltet, würdet ihr das doch genauso machen. Ihr seid doch alle gleich, egal ob Schreitende oder Verdammte. Ihr glaubt bloß, dass ihr euch voneinander unterscheidet, aber tief in euch drin, da gleicht ihr euch wie ein Ei dem andern. Da seid ihr alle durch und durch verfault«, erklärte Krächz ohne besondere Bosheit. »Genau wie wir.«
»Sprich nur für dich.«
»Du hast eine spitze Zunge, aber das stört mich nicht, ich hab nämlich heute meinen großzügigen Tag. Deshalb gebe ich dir auch einen guten Rat: Gewöhn dir deine Sturheit ab und antworte auf die Fragen des Herrn Dawy.«
»Damit du mich anschließend tötest? Genau wie Rayl.«
Krächz grinste bloß, antwortete aber mit keinem Wort.
Algha nahm einen Schluck von dem Tee. Ohne ihren Funken fühlte sie sich völlig hilflos, fast als wären ihr beide Hände abgehackt worden. Sonst hätte sie diese zwei Mörder schon längst erledigt. Und auch den Nekromanten.
Ein neuerlicher Hustenanfall ließ sie sich unter entsetzlichen Schmerzen krümmen. Jemand schien ihre Lungen mit spitzen Krallen zu zerreißen. Tränen traten ihr in die Augen, ihre Kehle brannte wie Feuer.
»Kann ich noch etwas Wasser haben?«, fragte sie, ihren Stolz überwindend.
Schweigend schnappte sich Krächz ihren Becher und schenkte ihr noch etwas von dem Tee ein. Am liebsten hätte sie ihm das kochend heiße Zeug ins Gesicht gespuckt, aber der Kerl trat so schnell zum Hocker zurück und grinste, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
Sie nippte mit vorsichtigen Schlucken an dem Getränk und versuchte, sich darüber klar zu werden, wie weit sie von Burg Donnerhauer weggebracht worden war. Offenbar ziemlich weit. Berge gab es in dieser Gegend nämlich keine. Selbst wenn Rayls Leiche entdeckt worden war, wäre es für sie also zu spät. Man könnte Kanderg noch so gründlich durchkämmen, man würde sie nicht finden.
Die Kutsche hatte unterwegs immer nur spät nachts vor irgendwelchen Absteigen gehalten. Der Pöbel, der in ihnen hauste, hatte sich um die gefesselte Frau natürlich nicht weiter geschert, denn für ihn galt die Losung: Je weniger du weißt, desto länger lebst du. In Gesellschaft ihrer Entführer hatte sie sich unvermittelt in einer völlig anderen Welt wiedergefunden, in einem Schattenreich, von dem sie bisher nur hatte raunen hören.
Sie trank den Tee aus und schob den Becher weg.
»Du darfst dir gern noch mehr eingießen«, sagte Krächz.
Algha schüttelte bloß den Kopf und überließ sich weiter ihren Gedanken. Ihr Hirn arbeitete fieberhaft, spielte alle Möglichkeiten der Flucht durch und alle Wege, wie sie unter diesen Umständen ihren Funken anrufen könnte.
Im Nebenraum war es die ganze Zeit über ruhig. Offenbar hatte Axt sich schlafen gelegt. Krächz schien zwar auch zu schlummern, doch Algha wusste bereits, dass sie sich deshalb nicht in falscher Sicherheit wiegen durfte. Der Kerl bewegte sich schneller als die meisten jungen Männer und war stark wie ein Gow. An ihm würde sie niemals unbemerkt vorbeihuschen …
Gedankenverloren fuhr sie mit dem Finger über die hölzerne Tischplatte … Wie ließ sich ein Zauber wirken, wenn man den eigenen Funken nicht anrufen konnte? Ohne ihre Gabe, von der sie jetzt ja abgeschnitten war, gar nicht. Es war ein in sich geschlossener Kreis. Sie zeichnete unsichtbare Geflechte auf die Tischplatte, ergänzte sie um immer neue Schnörkel und Knoten, die alten gleichzeitig löschend.
Irgendwann schwirrte ihr der Kopf und sie stand auf.
»Wohin willst du?«, fragte Krächz prompt.
»Ich möchte einen Teller holen.«
»Wozu?«
»In den gebe ich etwas Mehl, dann kann ich zeichnen. Ein Blatt Papier und eine Feder wären mir aber auch recht.«
Da Krächz Zeichnungen für harmlos hielt, sagte er: »Schütte das Mehl ruhig auf den Tisch.«
Krächz beobachtete eine Weile, wie Algha versponnene Ornamente ins Mehl malte, zuckte irgendwann mit den Schultern und schloss die Augen wieder. Solange sich dieses dumme Schaf, das schon bald geopfert werden würde, ruhig verhielt, war die Welt für ihn in Ordnung.
Algha grinste rachsüchtig. Wart’s nur ab, du Mistkerl!, frohlockte sie innerlich. Wenn ich ein wenig Glück habe, wirst du noch bedauern, dich je auf diese Geschichte eingelassen zu haben.
In den nächsten drei Stunden zeichnete sie über dreihundert Geflechte, doch bei genauerer Betrachtung erwies sich kein einziges als tauglich. Erst das letzte schien
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