Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
geschlafen hatte, nickte ein.
Die letzten drei Nächte hatte die Nekromantin sie im Traum besiegt, weil es Algha nicht gelungen war, ihren Schild zu durchbrechen. Alle Geflechte waren an ihm abgeprallt.
»Das schaffst du nur mit dem dunklen Funken, meine Liebe«, hatte die Nekromantin jedes Mal schadenfroh gekichert. »Einzig mit dem dunklen.«
Damit wollte sie Algha zwingen, diesen Aspekt der Gabe anzurufen. Sie wusste jedoch nicht, wie sie das überhaupt tun sollte. Außerdem widerstrebte ihr ein solcher Schritt. Allein der Gedanke, den dunklen Funken einzusetzen, rief Ekel und Abneigung in ihr hervor, denn nie hatte sie jene Gesetze missachtet, die sie bereits in der ersten Stufe der Schule als einzig gültige Wahrheit anerkannt hatte. Ein solches Verhalten wäre ihr allzu ungebührlich vorgekommen. Es wäre, als wollte sie die Hand gegen Gilara erheben.
Und dabei spielte es keine Rolle, dass sich all dies im Traum zutrug.
Nein! Nein, nein und noch einmal nein! Nie im Leben würde sie diese Grenze überschreiten! Mochte diese Weigerung auch ihren Tod bedeuten.
Wieder und wieder versuchte sie, den Schild zu durchbrechen …
Letzte Nacht war es ihr dann gelungen.
Sie hatte den Schlüssel zu diesem Schloss gefunden, ohne dabei den dunklen Funken einzusetzen. Statt des schwarzen Vorschlaghammers hatte sie die weiße Nadel gewählt – und gesiegt. In diesem Augenblick hatte sie einen ungeheuren Triumph empfunden. Gleichsam als Belohnung verschlief sie heute einen großen Teil des Tages, eingehüllt in den Pelzmantel des Kutschers und trotz all der Schlaglöcher, über die der Wagen holperte. Und zum ersten Mal seit langer Zeit suchten sie keine Träume heim.
Während eines kurzen Halts in einem Dorf wachte sie auf, wusch sich mit großem Vergnügen und aß rasch ein paar Happen, ehe sich der Zug wieder in Bewegung setzte. Sie alle wollten vor Einbruch der Nacht ein möglichst großes Stück des Weges hinter sich bringen, um dann in einem großen Dorf zu übernachten, in dem es eine anständige Schenke gab, kein Wanzennest wie beim letzten Mal.
Gerade als sie durch einen hellen Birkenwald fuhren, holte ein Reiter sie ein. Die ganze Haltung des Mannes zeugte von seiner militärischen Ausbildung. Er hatte ein offenes, edles Gesicht und einen festen Blick. Als er bemerkte, dass Algha ihn musterte, schenkte er ihr ein Lächeln, bei dem er weiße Zähne blitzen ließ, als sei die junge Frau eine alte Bekannte von ihm. Anschließend trieb er das Pferd weiter, um mit dem Anführer der Soldaten zu sprechen.
Algha sah ihm misstrauisch hinterher. Nach Rayls Verrat war sie auf der Hut. Sie wusste, dass man sie suchte und dass der Tempel des Meloth immer noch viel zu nah an dem Ort lag, an dem sie Dawy getötet hatte. Wenn der Bruder des Nekromanten erfahrene Spürhunde an der Hand hatte, war nicht auszuschließen, dass diese sie entdecken würden. Aus ebendiesem Grund wollte sie ja auch so schnell wie möglich nach Korunn, zu den Schreitenden und Glimmenden, unter denen sie sich weit sicherer fühlte als im Kreise ihr unbekannter Menschen auf einer der unzähligen Straßen des Königreichs.
Kapitel
12
»Steh auf!«, verlangte jemand und schüttelte mich an der Schulter. »Es tagt.«
Ich hob mit Mühe den Kopf, der schwer war, weil er nicht genug Schlaf abbekommen hatte, und sah zum dunklen Himmel hinauf.
»Sag mal, verwechselst du da nicht was, Dreiauge?!«
»Du musst noch einen neuen Verband kriegen«, antwortete er. »Also hoch mit dir. Ich such derweil Egel.«
Über Nacht hatte das feuchte Moos meine rechte Seite und die Hose völlig durchnässt. Nicht einmal der Umhang hatte mich davor bewahrt. Obwohl es in den Sümpfen wärmer war als im Tal, fror ich erbärmlich, denn kaltes Wasser blieb nun mal kaltes Wasser. Und im Unterschied zum Westen versuchte der Osten immer noch, die Ketten des Winters endgültig von sich abzuwerfen.
In den nächsten Minuten wachten auch die Soldaten um mich herum auf. Die kleine Insel, auf der wir unser Lager aufgeschlagen hatten, reichte kaum für uns alle. Wir lagen dicht aneinandergedrängt, fast wie Zieselmäuse während des Winterschlafs, um über Nacht nicht zu erfrieren. Ich hob meinen Umhang auf, betrachtete angewidert diesen nassen Lappen, schüttelte ihn aus und machte mich daran, Rando zu suchen. Er hatte den Befehl über unsere Einheit, während ich, als der Einzige, der bereits eine Hundertschaft unter sich gehabt hatte, zu seinem Stellvertreter ernannt worden
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