Sturm im Elfenland
haltet mich also nicht länger davon ab.« Sein Zwinkern strafte den barschen Ton Lügen. »Steinnichte«, er wandte sich an Alana, »mit dir möchte ich mich morgen unterhalten. Du hast deinen Stein zwar an dich gebunden, aber das ist erst der Anfang.«
Er drehte sich zu Ivaylo um und musterte ihn streng. »Und was mache ich mit dir? Du bist nie vernünftig unterrichtet worden, habe ich recht?«
Ivaylo verschränkte die Arme und erwiderte trotzig den Blick des Zwerges. »Ich war immer zufrieden mit meinen Lehrern, danke schön.«
Sverre fixierte ihn, bis Ivaylo die Augen niederschlug. »Es ist wahrscheinlich schon zu spät«, sagte er dann. »Aber gut, ich werde es versuchen. Komm also auch du morgen wieder her. Und jetzt ab mit euch.«
M
ein Schlaf war erwartungsgemäß schlecht in dieser Nacht. Schlaf? Ich lag in der lichtlosen Dunkelheit, über mir den lastenden Fels. Es war, als wäre ich in einer Gruft lebendig begraben worden, ohne jede Hoffnung darauf, jemals wieder den Wind spüren, das Tageslicht oder die Sterne sehen zu dürfen.
Irgendwann hörte ich auf, mich herumzuwälzen, und stand auf, entzündete ein Licht und begab mich daran, meine Aufzeichnungen der letzten Tage zu vervollständigen.
Auberons Entscheidung, die Zwerge in unserem aussichtslosen Kampf um Hilfe zu bitten, hatte mich überrascht. Eins der Sprichwörter, das mein Volk gerne und oft benutzt, lautet: »Traue niemals einem Höhlengeborenen.« Und ich bin sicher, dass die Zwerge etwas Ähnliches über uns zu sagen pflegen.
Es hatte immer wieder Zeiten gegeben, in denen unsere Völker eine kurzfristige Allianz eingegangen waren. Gelegentlich fielen hungrige Orkhorden aus der südlichen Wüste in unser Land ein, und immer wieder mussten wir uns gegen Drachen verteidigen, die den Großen Kamm überflogen ‒ aber in der Regel herrschte zwischen Elfen und Zwergen ein tief greifendes, grundlegendes, durch und durch gesundes Misstrauen.
Auberon selbst war zwar nicht als Zwergenfreund bekannt, doch seiner Meinung nach konnten sich ihre speziellen Fähigkeiten gelegentlich als durchaus nützlich erweisen. Ein Zwerg konnte es mit jedem doppelt so großen Gegner aufnehmen, und sie beherrschten das Kriegshandwerk ebenso gründlich und geschickt, wie sie Steine und Metall bearbeiten konnten.
Zwergenmagie. Das war ein heißes Eisen. Auberon misstraute jedem Elfenmagier so sehr, dass er sein Volk magisch ausbluten ließ. Wie viel mehr noch musste er Zauberern misstrauen, die dem Volk des Feindes angehörten?
Dass er nun wahrhaftig den König der Zwerge wegen der Dämonentore um seinen Beistand bat, ließ mich erkennen, für wie ernst er unsere Lage hielt und wie verzweifelt er selbst war.
Trond Hammerschlag würde uns niemals vollkommen selbstlos helfen, das war für mich so klar, wie es auch für Auberon sein musste. Wir würden einen Preis zu zahlen haben, und wie hoch er sein würde, konnte ich jetzt noch nicht ermessen. Zu hoch? Hoffentlich nicht.
In den Gängen der Feste regte sich der neue Tag. Schritte, Stimmen, rauer Gesang, Gelächter. Ich roch Rauch, der durch die Lüftungsöffnungen zog.
Dann klopfte jemand mit einem Hammer an meine Tür. Als ich antwortete, trat ein junger Lakai mit einem Tablett in der Hand ein, murmelte einen verlegenen Morgengruß und stellte mein Frühstück auf den Tisch.
Dampfend heißer Tee, kalter Braten und gepökelte Wurst, eine kräftig gewürzte kalte Brühe, grobes Brot, ein großes Stück von einem bröckelig-harten Käse. Das war eine Mahlzeit für einen Bergmann. Ich trank den Tee, brach mir ein Stück von dem Käse ab und riss eine Ecke von der tellergroßen Brotscheibe. Dann wischte ich mir die Krümel von der Hose, stand auf und ging hinaus. Der Lakai, der geduldig vor der Tür auf mich gewartet hatte, wies mir den Weg durch die verwinkelten Gänge der Feste.
Wieder ging es nach unten. Kannte denn dieser verfluchte Bau nur eine einzige Richtung ‒ abwärts?
Steinerne Rampen schraubten sich wuchtig und glatt in die Tiefe. Dazwischen immer wieder Treppen: schmal und steil, breit und gemächlich, mit glatt polierten Stufen oder grob gehauenen Tritten, aber allesamt abwärts. Hinunter. Tiefer und tiefer.
Wurde es wärmer um mich herum? Oder war es die stete Abwärtsbewegung, die mir die Hitze ins Gesicht trieb?
Endlich, als ich glaubte, noch ein weiterer Schritt hinab in die Tiefe würde mich endgültig von meinem Lebensfaden abtrennen, hielt der Lakai vor einer breiten Tür an
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