Sturm: Roman (German Edition)
die dem Sturm in ihrer Heftigkeit und in dem dumpfen Grollen, mit dem sich die nächste Stufe ihrer zerstörerischen Kraft ankündigte, nicht unähnlich war. Dirk versuchte, mit den Händen nach Hindernissen zu tasten, ohne sein Tempo zu verringern. Das konnte nicht gutgehen. Erst schrammten die Finger seiner rechten Hand über Felsen – was seine Hand mit einem Schmerz quittierte, der nicht heftiger hätte sein können, wenn er sie in das heiße Fett einer Fritteuse getaucht hätte –, kurz darauf wurde ihm die linke Hand beinahe von einem Vorsprung abgerissen …
… und dann stolperte er über etwas, das am Boden lag.
Es war groß und massig, und im selben Moment wusste Dirk, was es war: der verrückte Araber, der ihm fast ein Stück Fleisch aus dem Bein gebissen hatte.
Das war also seine späte Rache dafür, dass Rastalocke ihm den Schädel eingeschlagen hatte – er würde Dirk zu Fall bringen. Der Gedanke schoss Dirk durch den Kopf, noch bevor er die Arme nach vorn gebracht hatte, um seinen Sturz abzufangen. Er wusste, dass im nächsten Augenblick das Wasser über ihn hinwegschießen und ihn nach unten drücken würde. Die Wassermassen würden ihn unter sich begraben, bis er elendig ertrank.
Doch er stürzte nicht und ertrank auch nicht. Stattdessen wurde er von einer harten Hand gepackt und nach oben und vorne gerissen. Taumelnd und außer Atem versuchte er, wieder in den Tritt zu kommen. Es gelang ihm mehr schlecht als recht.
Dafür geschah etwas, das ihm zumindest die Orientierung erleichterte: Lubayas Taschenlampe flammte auf. Er blinzelte verblüfft, weil er sich in einer ganz anderen Umgebung wiederfand, als er vermutet hatte.
Sie waren nicht länger in einem Gang, sondern in einer Grotte oder einem gemauerten Gewölbe – Dirk konnte es nicht genau erkennen, weil auch hier überall Trümmerstücke herumlagen, als hätte sich ein Riese im Felsenweitwurf geübt. Das Wasser, das durch diesen Raum strömte, hatte nichts von seiner schäumenden Kraft verloren, aber es umfloss gerade einmal ihre Füße und würde wahrscheinlich erst in einigen Minuten hoch genug sein, um sie ernsthaft in Gefahr zu bringen. Dirk stolperte weiter, Lubaya hinterher, die mit dem Licht ihrer Taschenlampe die Richtung vorgab.
»Hier lang!«, schrie sie. »Hier geht's raus!«
Und auf einmal war da nicht nur das Licht ihrer Taschenlampe, sondern auch Tageslicht, das hell und blendend zu ihnen hereindrang. Als Dirk unerwartet auf eine Treppenstufe trat, knickte er fast in den Knien ein, und wieder war es Rastalocke, der ihn stützte. Wahrscheinlich nicht aus reiner Kameradschaft – zweihunderttausend Euro waren ein gewichtiges Argument, denjenigen vor Schaden zu bewahren, der das Geld später zahlen sollte.
Lubaya und Kinah vor ihm bewegten sich so schnell und sicher, als würden sie den Weg im Schlaf kennen. Dirk hatte Mühe, über die Trümmer zu steigen, die auf der Treppe lagen, und wenn John ihm nicht geholfen hätte, dann hätten ihn die beiden Frauen wohl endgültig abgehängt. Doch auch so erreichten sie das Ende der Treppe ein ganzes Stück vor ihm.
Dirk hörte einen Schrei der Überraschung, dann rief ihm Kinah irgendetwas zu, das er nicht einmal ansatzweise verstand. Er gab sich Mühe, seine Schritte zu beschleunigen, was nur dazu führte, dass er mit dem Fuß gegen ein scharfkantiges Bruchstück trat und sich die Zehen anschlug. Doch kurz darauf hatte auch er die letzte Stufe erreicht und taumelte Seite an Seite mit Rastalocke hinaus in die Freiheit.
Zuerst sah er – gar nichts. Die Sonne blendete ihn mit ihrer geradezu unbarmherzigen Kraft. Er hob die Hand und beschattete mit ihr seine Augen. Nach einer Weile sah er – immer noch nichts.
Keine Bungalows, keine Straße, keine Bäume, keine Trümmer, keine Schneise der Verwüstung. Die Umgebung wirkte wie leergefegt, und genau das war sie wahrscheinlich auch. Dirk verwarf den kurz in ihm aufblitzenden Gedanken, dass sie in einem ohnehin menschenleeren Gebiet an die Oberfläche gekommen waren. Je mehr sich seine Augen an das helle Licht gewöhnten, desto klarer wurde ihm, dass das nicht sein konnte. Sie waren keineswegs im Nichts gelandet, sondern genau an der Stelle, an der die Bungalows hätten stehen müssen. Er erkannte es an der Felsformation, die sie hochgeklettert waren und die der Sturm nicht hatte mitreißen können. Die Straße, die Bungalows und alles andere jedoch war verschwunden, begraben unter der matschigen Schicht aus Sand und Schlamm, auf
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