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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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behalten, solange du es wünschst. Ist das in Ordnung?«
    »Das ist wohl die Voraussetzung für vollkommene Offenheit«, sagte Kinah, um Zeit zu gewinnen. Etwas in ihr riet ihr, zu verschweigen, was sie immer verschwiegen und noch nicht einmal ihrer Familie offenbart hatte. Aber ein anderer Teil drängte sie dazu, endlich irgendjemandem von der Last zu erzählen, die sie nun schon viel zu lange alleine trug.
    »Mein Vater hat mir diese Aufgabe gestellt«, stieß sie schließlich fast ärgerlich hervor. »Und er hat die Aufgabe von seinem Vater übernommen. Und der von seinem.«
    »Wenn das so wäre, müsste mir jetzt ein Mann gegenüberstehen und keine Frau«, wandte Jan ein.
    »So wäre es auch gekommen, wenn die Zeiten anders gewesen wären«, sagte Kinah. »Aber sie waren es nicht. Während meiner Kindheit war die ganze Region in Aufruhr. Tausende von Menschen starben, getötet mit modernen Waffen, die von skrupellosen Waffenhändlern ins Land geschmuggelt worden waren. Ich war noch ein Baby, da fielen bewaffnete Männer in unserem Dorf ein. Ich weiß nicht, warum, und vielleicht wussten sie es noch nicht einmal selbst. Sie richteten ein unvorstellbares Blutbad an. Mein Vater konnte nur mich retten, meine Mutter und meine älteren Geschwister wurden niedergemetzelt. Als es vorbei war, ging das Leben irgendwie weiter – bis es Jahre später hieß, dass wieder einmal bewaffnete Männer zum Dorf unterwegs seien. Mein Vater schickte mich in der Obhut einiger größerer Kinder weg. Aber unsere Gruppe wurde auseinandergerissen, und ich kehrte nie wieder nach Hause zurück. Wahrscheinlich würde ich dort auch nicht mehr viel vorfinden.«
    »Oh.« Jan wirkte ehrlich betroffen. »Das tut mir leid. Das wusste ich nicht.«
    »Schon gut.« Kinah wischte die schmerzliche Erinnerung mit einer Handbewegung beiseite. »Jetzt bin ich hier, und das muss dir genügen. Ich habe das alte Wissen mitgebracht, das mein Vater viel früher als üblich an mich weitergab – wohl aus der berechtigten Angst heraus, dass er später keine Gelegenheit mehr dazu haben würde. Ich weiß viel über die Götter, denn ich war ein gelehriges Kind und mein Vater ein guter Lehrer. Ich kenne auch die Gesetze des Windes, den die Götter bewegen, wie es ihrem Willen entspricht. Und ich bin bereit, den Wunsch meiner Ahnen zu erfüllen und mein Wissen zum Nutzen der Gemeinschaft einzusetzen, nur, dass diese Gemeinschaft nicht mein Dorf ist, sondern die Welt, in der ich lebe.«
    Jan fuhr sich mit einer verlegenen Geste durch die Haare. »In deinem Leben ist so viel Schreckliches passiert …«
    »Über das ich jetzt nicht mehr reden will«, unterbrach ihn Kinah. »Meine alte Familie ist tot, aber ich habe eine neue. Und die werde ich beschützen, gegen wen oder was auch immer. Ich habe eine ganz einfache Frage: Können wir, nachdem du deine Stelle als stellvertretender Institutsleiter verloren hast, überhaupt noch etwas gegen die Gefahr unternehmen, die uns durch den großen Sturm droht?«
    »Und ob wir das können!«, erwiderte Jan grimmig. »Ich habe auch schon einen Plan. Der erste Schritt besteht darin, mögliche Ausgangspunkte einer globalen Sturmkatastrophe zu bestimmen – die Orte, wo ein Eingriff in das Klima besonders weitreichende Konsequenzen hätte. Dazu brauche ich dich. Du verstehst aus deiner Sicht der Dinge heraus mehr von den Knotenpunkten, an denen das Wetter in die eine oder andere Richtung beeinflusst werden kann.«
    »Es nicht meine Sicht der Dinge«, korrigierte ihn Kinah. »Es ist eine sehr alte, traditionelle Sicht der Dinge, gültig für alle Epochen und Umstände. Letztlich geht es dabei immer um den Ausgleich – um das, was man der Natur gibt und was man ihr nimmt.«
    »In anderen Worten: um das, was die Chinesen Yin und Yang nennen«, ergänzte Jan.
    Kinah nickte. »Auch diese Betrachtungsweise ist richtig und allgemeingültig. Bei euch heißt es: Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Bei uns gibt es das Sprichwort: Wer den Sturm beschwichtigen will, muss ihm freies Geleit gewähren. Du kannst es natürlich auch in deine Sprache übersetzen …«
    »Ich kannte dieses Sprichwort schon, und es hat mich auf eine Idee gebracht«, sagte Jan. »Auf die Idee, wie man die Energie des Thunderformers ins Leere laufen lassen kann, wenn es darauf ankommt. Wenn ich diese Erkenntnisse vor der Fachwelt und den Medien präsentieren könnte, würde ich endlich ernst genommen.«
    »Ich hoffe nur, dass das nicht dein einziges Ziel ist«, warf Kinah

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