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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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»Das macht doch jeder Russe – zumindest jeder Russe, der so bescheuert ist, in Afrika eine Fluglinie zu gründen.«
    Dirk zog es vor, nicht näher darauf einzugehen. Er drehte den Lautstärkeregler ein Stück zurück, um sich nicht gleich nach Aufsetzen des Kopfhörers einen Hörsturz zuzuziehen, und stülpte sich dann das klobige Teil aus hartem Bakelit über. Zuerst hörte er rein gar nichts, aber als er das Potenziometer wieder hochdrehte, zischte und zirpte es, als wäre eine ganze Grillenschar an Bord.
    Wodka. Alkohol. Einen Moment lang krampfte sich alles in ihm zusammen. Er hatte für seine Verhältnisse schon lange nicht mehr an Alkohol gedacht. Aber Jurijs Atem, so unangenehm er auch gerochen hatte, hatte sein Verlangen nach etwas Hochprozentigem entfacht. Vielleicht konnte er den alten Mann ja um einen kleinen Schluck Wodka bitten …
    Während ihm dieser widerliche Gedanke durch den Kopf schoss, starrte er aus dem Fenster. Anfangs war ihm bei der freien Sicht durch die großen Scheiben und über die Flugzeugspitze hinaus fast schwindlig geworden. Jetzt sah er noch einmal genauer hin und atmete tief durch, und mit jedem Atemzug nahm sein Verlangen nach Wodka ab.
    Vor ihnen erhoben sich grüne Berghänge – die blühende und landwirtschaftlich intensiv genutzte Nordseite des Atlasgebirges, das in geschwungenen Linien anstieg und sie zwang, stetig an Höhe zuzulegen. Die rechts von ihnen stehende Sonne tauchte die Landschaft in ein beinahe überirdisches Licht und zauberte Schattenspiele auf die steileren Formationen. Alles wirkte friedlich und seltsam unberührt, obwohl fast überall Spuren menschlicher Kultivierung zu erkennen waren. Hochweiden, auf denen zottelige, weißbraune Schafe grasten, wechselten sich mit von wenigen Baumgruppen umstandenen Feldern ab, und in der Ferne tauchten Berberdörfer auf, die sich mit den grauen oder braunen Farbtönen ihrer Häuser perfekt an die Umgebung anpassten, je nachdem, ob sie am Fuße einer Felsformation errichtet worden waren oder sich in eine hügelige, von braunroten Tönen dominierte Landschaft schmiegten.
    »Ob ich vielleicht auch …«, begann Dirk. Er riss sich den schwarzen Bakelitkopfhörer von den Ohren und ließ ihn in seinen Schoß fallen.
    Jurij musterte ihn mit erhobenen Augenbrauen. »Was ist? Hast du ein Funksignal eingefangen?«
    Dirk schüttelte den Kopf. »Nein.« Er hatte geglaubt, den Teufel in seinem Inneren besiegt zu haben, aber das stimmte nicht. Seitdem Jurij angefangen hatte, über Alkohol zu reden, war er zu neuem Leben erwacht und lauerte nur darauf, sich seiner in einem schwachen Moment zu bemächtigen. Das Schlimme war, dass Dirk genau wusste, dass Jurij ihn ohne Weiteres an seinem Wodkavorrat teilhaben lassen würde. Vielleicht würde er ihm jeden einzelnen Schluck in Rechnung stellen, aber das konnte dem Teufel in Dirk ja egal sein. Hauptsache, er hatte ihn wieder zum Trinken verführt.
    Er brauchte bloß etwas zu sagen. Einen kurzen Satz. Wahrscheinlich würde allein schon das Wort Wodka genügen. Doch damit würde er einen weiteren Schritt in Richtung Selbstvernichtung gehen.
    »Ich habe … Durst.«
    Jurij kniff die Augen zusammen. »Durst worauf?«
    »Auf Wasser, was sonst«, stieß Dirk schnell hervor.
    »Wasser habe ich nicht hier«, sagte Jurij. »Aber etwas Schärferes. Willst du ein Schlückchen?«
    Da war sie. Die Frage, die er gefürchtet und doch selbst provoziert hatte. »Nein, nein«, wehrte er ab. »Wir haben Wasserflaschen dabei. Ich hole mir gleich was zu trinken.«
    »Vielleicht wärst du aber vorher so freundlich, deinen Job zu machen.« Jurijs faltiges Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. »Kriegst du das hin? Oder kennst du dich besser mit Küchenmaschinen als mit Funkgeräten aus?«
    »Ich kriege das schon hin.« Wütend setzte sich Dirk erneut den Kopfhörer auf und rückte ihn umständlich zurecht.
    »Die Anlage ist auch für Funkpeilung ausgelegt«, drang Jurijs Stimme dumpf durch die Ohrschalen. »Außerdem verfügt sie über Freund-Feind-Kennung. Was uns aber nicht viel nutzen wird. Die Sowjetunion ist zusammengebrochen und mit ihr die alten Feindbilder. Nur schön, dass wir überall auf der Welt gleich wieder neue Feinde gefunden haben. Würde ja sonst langweilig werden.«
    Dirk starrte vor sich auf den schwarzen Kasten. Ein großes Stellrad mit hintergrundbeleuchteter Skala, jede Menge Knöpfe und Schalter, und an der linken Seite zwei Potenziometer, das Aussteuerelement und ein weiteres

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