Sturm: Roman (German Edition)
Anzeigeinstrument, dessen Funktion er nicht kannte. Er hatte nicht die geringste Ahnung, auf welcher Frequenz Flugzeuge funkten, und verstand nichts von den kyrillischen Buchstaben auf der Skala und der Abdeckplatte, die ohnehin abgegriffen und kaum lesbar waren. Als dieser Kasten in das Flugzeug eingebaut worden war, hatte das Wort Transistor wahrscheinlich noch gar nicht existiert.
Dieses Röhrengerät gehörte in ein Museum, nicht an Bord einer Maschine, die das Atlasgebirge zu überqueren versuchte.
»Zu unseren Feinden zählten damals auch die Deutschen«, fuhr Jurij munter plappernd fort. »Aber in Wirklichkeit ging es immer gegen die Amerikaner. Und wie es aussieht, hat sich zumindest in diesem Punkt nichts geändert. Nur mit dem Unterschied, dass die Amerikaner heute noch verhasster sind als früher. Irgendetwas müssen sie grundlegend falsch machen.«
»Im Gegensatz zu den Genossen Stalin und Chruschtschow und wie sie alle hießen?«, bemerkte Dirk.
»Ach – jemand, der politisch interessiert ist?« Jurij fuhr sich durch die schlohweißen Haare.
Dirk wandte sich ab, starrte demonstrativ aus dem rechten Fenster und drehte das Lautstärkepotenziometer fast bis zum Anschlag auf. Das Rauschen und Knacken in seinen Ohren wurde unangenehm laut. Aber zumindest übertönte es, was auch immer Jurij erzählen mochte.
Von den Amerikanern oder vom Wodka.
Dirk bewegte langsam das Stellrad. Die Geräusche im Kopfhörer veränderten sich. Zuerst wurden sie dunkler, dann zirpend und pfeifend. Dirk kannte diese Töne. Nicht aus eigener Anschauung, aber aus alten Filmen, in denen Schiffe oder Flugzeuge einen Notruf sendeten und der Mann am Funkgerät versuchte, eine Frequenz zu finden, auf der er kommunizieren konnte. Nur, dass es Dirk nicht um das Absetzen eines Notrufs ging, sondern darum, den Funkverkehr des Hubschraubers zu belauschen.
Der wahrscheinlich auf Arabisch stattfand. Haha.
Dirk drehte sich wieder zu Jurij. »Wie gut ist dein Arabisch? Nur für den Fall, dass ich tatsächlich ein Funkgespräch aufschnappe …«
»Gut genug«, brummte Jurij. »Schließlich treibe ich mich schon eine Weile in Nordafrika herum. Und wie gut fliegst du ein Flugzeug?«
»Ich und fliegen?« Dirk schüttelte entsetzt den Kopf. »Was soll das denn jetzt?«
»Das Kopfhörerkabel ist nicht lang genug«, sagte Jurij. »Das haben mir vor ein paar Tagen die Ratten abgenagt. Und als ich es wieder geflickt hatte, musste ich feststellen, dass mir ein halber Meter fehlt, um den Kopfhörer bis zum Pilotensessel zu ziehen.«
Ratten? Dirk kannte zwar den Spruch, dass Ratten zuerst ein sinkendes Schiff verließen – was nichts anderes hieß, als dass die Teufelsviecher wohl auf jedem normalen Schiff anzutreffen waren –, aber davon, dass sie auch ein Flugzeug mit ihrer Anwesenheit beglückten, hatte er noch nie gehört.
»Heißt das, hier sind Ratten an Bord?«, wollte er wissen und regelte die Lautstärke hektisch wieder herab.
Jurij kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Fragst du das etwa, weil du später vom Reisebüro einen Teil des Flugpreises zurückfordern willst?«
Dirk riss sich den Kopfhörer herunter. »Das ist wohl kaum der Zeitpunkt für schlechte Scherze. Gibt es hier nun Ratten oder nicht?«
Jurij zuckte mit den Schultern. »Woher soll ich das wissen?« Als er Dirks panischen, suchenden Blick bemerkte, fügte er hinzu: »Keine Sorge. Ich hab schon seit einiger Zeit keine mehr gesehen. Und falls doch …« Er griff unter seinen Sitz und zog schneller, als Dirk ihm mit den Augen zu folgen vermochte, ein Messer hervor. »Habe ich noch das hier.« Er schleuderte das Messer in Dirks Richtung. Es zischte haarscharf an seinem Gesicht vorbei und bohrte sich hinter ihm in eine Holzverkleidung, die wohl schon mehr als einen Treffer abbekommen hatte. Sie war regelrecht zerfasert und wohl aus dem einzigen Grund in der Ecke zwischen Front- und Seitenfenster angebracht worden, um als Zielscheibe für Jurijs Kunststücke herzuhalten.
Dirk hatte endgültig genug. Es besaß durchaus Sinn für Humor, aber dieser skurrile Greis raubte ihm den letzten Nerv. Mit einer entschlossenen Bewegung setzte er sich den Kopfhörer wieder auf. Seine Hand glitt zum Stellrad. Während er vorsichtig den Frequenzbereich nach einem Sprachsignal absuchte, pfiff und piepste es in seinen Ohren um die Wette. Er hörte ein paar atmosphärische Störungen, die erst knackten und knisterten und dann in ein tiefes Grummeln übergingen. Mehr
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