Sturm: Roman (German Edition)
Kopfhörern, die direkt neben ihm von der Decke baumelten. Mit gerunzelter Stirn starrte er auf das Aussteuerelement des altertümlichen Funkgeräts. Es schwankte hin und her wie ein besoffener Seemann. Außer atmosphärischen Störungen war nichts zu hören.
»Wieso hatten Sie das Funkgerät eigentlich nicht die ganze Zeit an?«, fragte er.
»Wieso sollte ich?«, gab Jurij zurück. »Um mir die neuesten Börsennachrichten anzuhören? Und außerdem ist der Kopfhörer auf der Pilotenseite ein Garantiefall.«
Dirk erstarrte. »Ein Garantiefall? Was soll das denn heißen?«
Jurij grinste schief. »Der hat schon nach dreiundfünfzig Jahren den Geist aufgegeben. Leider konnte ich ihn nicht zurück an den Hersteller schicken, weil der noch zu Gorbatschows Zeiten pleiteging. Neuer japanischer oder chinesischer Plastikschrott kommt mir nicht in meine Maschine, und einen passenden Bakelitkopfhörer mit Stahlmembranen habe ich noch nicht gefunden.«
Dirk hatte keine Ahnung, ob die ›Stahlmembranen‹ Jurijs Erfindung waren oder nicht. Aber das war momentan seine geringste Sorge. Die Lisunov begann unruhig zu tänzeln, also griff er hastig nach den Sicherheitsgurten. Sie waren zu eng eingestellt, doch als er sie nachjustieren wollte, stellte er fest, dass sich der Verschluss nicht einen Millimeter bewegen ließ.
»Ich würde die Hände davon lassen«, sagte Jurij.
»Wieso?«
»Weil die Gurte sind wie Frauen«, brummte Jurij. »Wer einmal in ihre Fänge gerät, kommt so schnell nicht mehr von ihnen los.«
Dirk zerrte vergeblich an dem Gurtverschluss. »Ich verstehe nicht.«
»Ganz einfach: Wenn sie einmal eingerastet sind, kriegt man sie nur mit Hilfe eines Schlüsseldienstes wieder auf. Und der ist hier oben schlecht zu bekommen.«
Dirk schob die beiden Enden des Sicherheitsgurtes verdrießlich beiseite. »Ich habe aber keine Lust, bei der nächsten Turbulenz quer durch das Cockpit zu fliegen.«
»Das wird schon nicht passieren«, wiegelte Jurij ab. »Zur Not kannst du dich ja irgendwo festhalten.«
Dirk deutete auf das Kopiloten-Steuerhorn. »Wo denn? Etwa am Steuer?«
»Nein, an der Verstrebung«, antwortete Jurij knapp. »Und jetzt mach deine Arbeit!«
»Meine Arbeit? Was meinen Sie damit?«
»Du kannst mich ruhig duzen, Jungchen«, sagte Jurij anstelle einer direkten Antwort. »Schließlich sitzen wir in einem Flugzeug. Und das kann noch viel spannender sein, als in einem Boot zu sitzen.«
Das glaubte ihm Dirk aufs Wort. »Also gut, Jurij. Welche Arbeit soll ich denn deiner Meinung nach machen?«
»Wie wäre es, wenn du den Kopfhörer aufsetzt und versuchst, die Frequenz von unseren Freunden im Hubschrauber zu finden?«
Dirk nickte. Er hatte zwar nicht gerade viel Erfahrung mit Funkanlagen, aber sie zu bedienen war wahrscheinlich deutlich einfacher, als Microsoft-Produkte daran zu hindern, einen ordentlich installierten Rechner innerhalb von wenigen Wochen in eine absturzgefährdete, stotternde Kiste zu verwandeln. »Nur noch eine Frage.«
»Ja?«
»Wo ist dein rollendes R geblieben?«
Jurij warf ihm einen Blick zu. Sonnenstrahlen fielen durch das Cockpitfenster und malten flirrende Farbwirbel auf sein weißes Haar. »Tja, Jungchen. Mein Vater Borris Grrogewitsch ist nach Deutschland ausgewandert, und zwar nach Mannheim. Dort wurde ich auch geboren. Wenn man so will, bin ich also ein Sohn Mannheims. Deswegen musste ich mein Image als russischer Pilot etwas aufbessern. Und da die Söhne Mannheims nun einmal nicht das R rollen, hielt ich es für eine gute Idee, mich dadurrch von anderren Immigrranten abzugrrenzen.«
Dirk starrte den alten Mann fassungslos an. Ungeachtet dessen, dass es an ein Wunder grenzte, dass jemand wie Jurij Die Söhne Mannheims kannte, und ganz abgesehen davon, dass sein rollendes R von Anfang an eher wie der missglückte Versuch geklungen hatte, einen Bayern zu imitieren als einen Russen, ging ihm dieses ganze Getue fürchterlich auf die Nerven.
Das Augenzwinkern, das Jurij seiner Erklärung folgen ließ, kam bei Dirk keinen Deut besser an.
»Sind Sie … bist du denn überhaupt Russe?«, fragte er scharf. Jurij runzelte die Stirn. »Willst du mich beleidigen? Natürlich bin ich Russe! Ich trinke jeden Tag Wodka, und das nicht zu knapp. Riech mal!« Er blies Dirk eine Alkoholfahne entgegen. »Reicht das als Legitimation?«
»Du fliegst mit Wodka im Blut?«, empörte sich Dirk.
»Meine Lisunov fliegt mit Kerosin, ich mit Wodka«, antwortete Jurij und lächelte verschmitzt.
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