Sturm: Roman (German Edition)
ihren Rumpf gelegt hätten und er dann im Morgengrauen aus seiner Ohnmacht erwacht wäre …
Ein dummer Wunschtraum, nicht mehr.
»Dirk!« Das war Kinahs Stimme. »Ich kann mich nicht aus diesem verdammten Sicherheitsgurt befreien! Ich verbrenne noch bei lebendigem Leib!«
Dirk zuckte zusammen. Sein Verstand funktionierte offensichtlich immer noch nicht richtig, sonst hätte er schon längst begriffen, was hier los war. Seit der Notlandung konnten nur wenige Minuten vergangen sein. Das Metall in seinem Rücken fühlte sich an wie eine Kochplatte, die gerade auf volle Leistung gestellt worden war, und aus den Konsolen stieg beißender Qualm. Die Lisunov brannte, und er wusste nur zu gut, was das bedeutete. Sie konnte jederzeit hochgehen wie eine gewaltige Sylvesterrakete.
»Ich … Einen Moment …«, stammelte er.
»Uns bleibt nicht viel Zeit!«, schrie Kinah. »Beeil dich!«
Dirk hob den rechten Arm und stützte ihn auf die Lehne des Pilotensitzes. Erst in diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass der Sitz leer war. »Wo ist Jurij?«
»Der hat sich verdrückt!«, schimpfte Kinah. »Eigentlich wollte er gleich wiederkommen. Aber das hat er wohl vergessen.«
»Und die anderen?«
»Keine Ahnung.«
Dirk hatte es inzwischen geschafft, sich hochzustemmen. Sein Atem ging rasselnd. Die Luft in der Kabine war heiß und verbraucht, dazu kam der dichte Qualm, der sich immer weiter ausbreitete. Es war kein leichter, lichter Rauch, sondern schmieriger, schwerer Dunst, von dem Dirk ahnte, dass er nicht besonders gesund für die Lungen sein konnte.
Ein Grund mehr, sich zu beeilen. Dirk spannte sämtliche Muskeln an und kam mit einem Ruck frei. Nach Luft schnappend torkelte er zu Kinah hinüber.
Sie blickte ihn mit Entsetzen in den Augen an. Der Qualm verdeckte bereits ihre Beine und kroch schnell und zielstrebig höher, als würde er von einer bösartigen Intelligenz gesteuert, die nichts anderes im Sinn hatte, als alles um sich herum zu ersticken. Aber das war nicht die größte Gefahr, die Kinah drohte. Aus dem Funkgerät vor ihr züngelten Flammen, noch klein und zögerlich, aber so nah, dass sie jederzeit auf sie überspringen und sich in ihre Kleidung fressen konnten. Dirk erfasste all dies mit einem Blick und erkannte, dass es nur eine Möglichkeit gab, Kinah zu retten: Er musste sie losschneiden.
Und zwar mit Jurijs Jagdmesser, das in der Halterung neben der Wodkaflasche steckte. Er drehte sich um. Die Rauchschwaden auf der Pilotenseite waren schon beinahe undurchdringlich. Trotzdem glaubte er, das Messer und die Flasche zu sehen. Er stolperte zum Pilotensitz, beugte sich hinunter und griff danach.
Die Schwaden hatten ihn genarrt. Die Halterung war leer. Sowohl die Wodkaflasche als auch das Jagdmesser waren verschwunden.
Jurij, der russische Schweinehund, hatte sich aus dem Staub gemacht und seine Waffe und seinen geliebten Wodka mitgenommen. Das bedeutete, dass er niemals vorgehabt hatte, zurückzukehren. Wozu auch? Er hätte Kinah mit einem schnellen Schnitt befreien können. Stattdessen hatte er sie beide ihrem Schicksal überlassen, wohl wissend, dass eine an ihren Sitz gefesselte Frau und ein bewusstloser Mann in einem brennenden Flugzeugwrack so gut wie keine Überlebenschance hatten.
Dirk empfand ohnmächtige Wut. Kein Messer. Selbst wenn Kinah kein direktes Opfer der Flammen würde, würde sie früher oder später ersticken. Falls das Flugzeug nicht schon vorher explodierte.
Dann fiel ihm plötzlich etwas ein, das er eigentlich die ganze Zeit vor Augen gehabt hatte. Das Wurfmesser! Jurij hatte zu Beginn des Flugs ein Messer hervorgezogen und knapp an seinem Kopf vorbei gegen die Holzverkleidung zwischen Bug- und Steuerbordfenster geschleudert.
Der Qualm hatte bereits Kinahs Taille erreicht und schlängelte sich in dicken, schwarzen Schlieren unaufhaltsam weiter nach oben. Ihre Beine waren nicht mehr zu sehen, sehr wohl aber ihr Gesicht mit den weit aufgerissenen Augen, in denen die nackte Panik stand. »Schnell!«, keuchte sie.
Dirk nickte, unfähig, auch nur ein einziges Wort herauszubringen. Dort, wo das Messer in der zerfaserten Holzabdeckung stecken sollte, schimmerte nichts Metallisches mehr. »Das Messer …?«
Kinah folgte seinem Blick. »Ich habe Jurij gebeten, mich damit loszuschneiden. Aber er hat es sich nur geschnappt, ›später‹ gemurmelt, und weg war er.«
»So ein Arschloch!« Dirk war außer sich vor Wut. Wie konnte Jurij sie bloß derart verraten?
Kinah packte seinen Arm und
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