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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nicht. Das Gesicht des Alten lag durch den Widerschein des Feuers in unruhigem Flackerlicht. Dirk hätte nicht einmal zu sagen vermocht, ob es einen gütigen oder ärgerlichen Ausdruck hatte. Aber nicht nur der alte Mann, auch die Umgebung schien vor seinen Augen zu flirren wie an einem extrem heißen Tag am Meer.
    »Das ist eine ziemlich lächerliche Aussage.«
    »Lächerlich?« Das Bild wurde plötzlich schärfer, und Dirk erkannte den Ärger, der wie eine schwarze Gewitterwolke über das Gesicht des Schamanen zog. »Das hier ist alles andere als lächerlich.«
    Dirk atmete tief ein, bereute dies aber schon im gleichen Augenblick. Die Luft roch nach Rauch und etwas anderem, Undefinierbarem. Es war kein Kaffeeduft, sondern erinnerte eher an verschmorten Kunststoff und erhitztes Eisen.
    »Ob lächerlich oder nicht – ich will wissen, was hier los ist!«, begehrte er auf.
    »Du meinst, du willst wissen, ob du dich in der Realität befindest oder im Zwischenreich der Geister?« Der Alte breitete die Hände aus, als wollte er sich an den Flammen wärmen. Funken umstoben ihn, aber keines der glühenden Teilchen kam ihm zu nahe. Und das war nicht das Einzige, was Dirk beunruhigte. Ein Stück von dem Schamanen entfernt erkannte er die dunklen Umrisse mehrerer auf dem Boden sitzender Gestalten, ohne jedoch Einzelheiten ausmachen zu können. Es schien, als hielte die Nacht diesen Flecken Erde in ganz besonders festem Griff, als wollte sie diese Personen um jeden Preis vor Dirk verbergen.
    War vielleicht Kinah darunter? Oder sogar ihr gemeinsamer Sohn?
    »Ich habe anscheinend mal wieder einen üblen Albtraum«, murmelte Dirk.
    »Ein Traum.« Der Schamane zog die Hände zurück, und der Funkenflug folgte ihrer Bewegung, ohne sie zu berühren. »Ja, das ist eine gute Umschreibung. Auch im Traum sind uns die Geister nah, und Wahrheiten enthüllen sich uns, die wir bei wachem Verstand niemals an uns heranlassen würden.«
    »Es gibt keine Geister.«
    »Das sagst du.« Ein scharfer Windstoß fuhr in das Feuer und wirbelte es auf, als wollte er die Luft selbst entflammen. »Auf unserem Kontinent leben wir mit ihnen. Sie sind unverzichtbarer Bestandteil unseres Lebens.«
    »Für mich ist das Internet unverzichtbarer Bestandteil meines Lebens«, entfuhr es Dirk. »Dort finde ich alles, was ich suche.«
    »Wie zum Beispiel deine Tochter?« Die Stimme des Schamanen vermischte sich mit dem Prasseln des Feuers zu etwas Neuem, das kaum noch menschlich, aber trotzdem eindeutig anklagend klang. »Und deinen Sohn?«
    »Wenn ich die richtigen Fragen stelle und die richtigen Quellen anzapfe, vielleicht schon.«
    »Dann hast du das also nicht getan?«, setzte der Schamane nach.
    »Ja … Nein … Was weiß ich.« Dirk biss sich auf die Unterlippe. »Nichts ist vollkommen.«
    Der weißhaarige Mann nickte. »Das stimmt. Selbst die Geister sind nicht vollkommen. Wären sie es, dann wären sie Götter. Unfehlbare Götter. Und die haben wir Menschen nun wirklich nicht verdient, oder?«
    Dirk zuckte mit den Achseln. Er blickte hinüber zu den schemenhaften Gestalten, doch sosehr er sich auch bemühte, er konnte keine Einzelheiten erkennen. Ganz im Gegenteil – die Konturen verschwammen immer mehr, je angestrengter er es versuchte. Schließlich vermochte er nicht einmal mehr zu sagen, ob dort drüben wirklich Menschen saßen. Vielleicht sah er ja auch nur die Silhouetten von Baumstämmen oder merkwürdigen Gesteinsformationen.
    »So, wie du das Internet beschwörst, beschwört man in meiner Heimat die Geister.« Der Wind schien auf die Worte des Schamanen zu hören und fuhr immer wieder in das Feuer, während er sprach. »Und so, wie vieles vom Geschick desjenigen abhängt, der sich den Computer zunutze macht, hängt es auch vom Geschick desjenigen ab, der die Geister beschwört, ob sie ihm wohlgesinnt und zu helfen bereit sind oder nicht.«
    Der Gedankengang klang durchaus logisch, und Dirk hätte ihm beipflichten können, wenn es um etwas anderes als ausgerechnet Geisterbeschwörung gegangen wäre.
    So jedoch starrte er den Schamanen einfach nur schweigend an, während dieser ungerührt am Feuer hockte, als hätte er schon seit einer Ewigkeit auf ihn gewartet.
    »Du bist mit deinen Möglichkeiten gescheitert, deswegen bist du hier«, fuhr der Alte unbarmherzig fort. »Oder hast du etwa mit Hilfe deines Internets herausgefunden, wo deine Frau steckt und wo du nach deiner Tochter und deinem Sohn suchen musst?«
    »Nein.«
    »Siehst du. Aber mit

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