Sturm: Roman (German Edition)
drückte ihn. »Du musst mich losmachen. Irgendwie. Der Qualm …«
Sie brauchte nicht weiterzusprechen. Er sah es auch so. Da er stand, hatte ihn der Qualm erst bis zur Hüfte erfasst, doch Kinah umwaberte er bereits in Brusthöhe. Außerdem sprühten Funken aus ihm hervor, und das machte Dirks heimliche Hoffnung zunichte, die giftigen Schwaden könnten die Flammen, die aus dem Funkgerät und den Konsolen schlugen, ersticken.
Jurij hatte das Wurfmesser irgendwo herausgezogen. Vielleicht aus der Halterung, vielleicht aus einem anderen Versteck. Und möglicherweise befanden sich dort, wo ein Wurfmesser gewesen war, auch noch andere.
»Dirk«, keuchte Kinah und grub ihre Finger in seinen Arm. »Lass es nicht so enden! Unsere Kinder brauchen uns – unsere beiden Kinder!«
Sie hatte recht. Er kannte Noah nicht, hatte weder ein Foto von ihm gesehen noch sich durch Erzählungen ein Bild von ihm machen können. Aber tief in ihm war der Instinkt erwacht, der jeden Vater mit seinem Nachwuchs verbindet, und trieb ihn dazu, alles zu unternehmen, um Noah vor jeglicher Gefahr zu beschützen.
»Ich hole dich hier raus«, murmelte er leise. Kinah drückte seinen Arm noch einmal ganz fest und ließ dann los.
»Dann tu es«, sagte sie.
Ihre Stimme klang erstaunlich ruhig, und etwas von dieser Ruhe färbte auch auf ihn ab. Er versuchte fieberhaft, sich daran zu erinnern, woher Jurij das Messer hatte. Hatte er es tatsächlich aus der gleichen Ecke hervorgezogen, in der sein Jagdmesser und der Wodka gesteckt hatten? War es wirklich sein einziges Wurfmesser gewesen?
Das konnte er sich bei einem Mann wie Jurij gar nicht vorstellen. Sondern eher, dass er neben mehreren Wurfmessern auch noch ein oder zwei Pistolen in Reichweite aufbewahrt hatte, vielleicht sogar Handgranaten oder ähnlichen Wahnsinn. Aber wo? Die Luft war derart beißend, dass er Mühe hatte, einen klaren Gedanken zu fassen. Doch vielleicht kam die Erinnerung zurück, wenn er aus derselben Position heraus in Richtung Pilotensitz blickte, in der er dem geworfenen Messer entgegengesehen hatte.
Er beugte sich zu Kinah hinab. Bevor er wusste, wie ihm geschah, zog sie ihn an sich, umarmte ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
»Wenn es hier endet«, flüsterte sie, »sollst du wissen, dass ich nie aufgehört habe, dich zu lieben.«
»Ich dich auch nicht«, wisperte er. »Aber ich will nicht, dass es hier endet. Siehst du den Pilotensitz?«
Kinah nickte leicht.
»Jurij hat das Wurfmesser gezogen, als er dort saß. Aber woher hatte er es?«
Er spürte, dass Kinah trocken schluckte, und sah aus den Augenwinkeln, wie der teuflische Brodem emporkroch, über ihre Brust und auf ihren Hals zu. Es ging so schnell, so verdammt schnell. Bald würden die Schwaden ihr Gesicht erreichen. Ihrer beider Gesichter, da sich Kinah an ihn klammerte wie eine Ertrinkende an ihren vermeintlichen Retter.
»Da ist doch nichts!«, stieß sie gepresst hervor und räusperte sich. »Überhaupt nichts.«
»Bis auf den Sitz.«
Jetzt erinnerte sich Dirk. Jurij hatte das Messer unter dem Sitz hervorgezogen. »Warte!«, rief er und löste sich von ihr.
»Etwas anderes wird mir wohl kaum übrigbleiben«, hörte er Kinahs Stimme hinter sich. Dann ein ersticktes Husten, kaum mehr als ein Röcheln.
Der Sitz war seine einzige Chance. Jurij hatte unter sich gegriffen, dessen war sich Dirk nun ganz sicher. Doch der abgewetzte Ledersitz lag unter etwas verborgen, das wirkte wie der Brodem der Hölle. Öliger, schwarzer Dunst von fast stofflicher Substanz breitete sich über ihm aus. Dirk sah noch einmal zu Kinah. Sie starrte ihn an wie jemand, der weiß, dass er verloren ist, die Stirn schweißnass, der Blick flackernd. Die ersten Schlieren hatten ihr Schlüsselbein erreicht. Dirk hatte keine Ahnung, woraus sich dieser Qualm zusammensetzte, war jedoch davon überzeugt, dass er tödlich war. Ihm lief die Zeit davon.
Er holte tief Luft, kniff die Augen zusammen – und ging in die Hocke.
Es war, als würde er in einen See eintauchen und durch eine dicke Schlammschicht zum Grund hinabstoßen. Der Qualm hüllte ihn ein, drang in seine Nase und seine Ohren und kratzte dermaßen in seinem Hals, dass er den Hustenreiz nur mit Mühe unterdrücken konnte. Seine Hand fuhr unter den Sitz, tastete, suchte – und stieß tatsächlich auf etwas Hartes, Metallisches.
Ein Messer. Doch er konnte sich nicht über die Entdeckung freuen. Der Hustenreiz wurde immer schlimmer. Er würde ihn nicht mehr lange
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