Sturm: Roman (German Edition)
feuerbereit. Während Kinah mitten in das Schussfeld rannte.
»Kinah!«, schrie er. »Zurück!«
Doch er kannte sie und wusste, dass sie noch nicht einmal langsamer werden, geschweige denn stehen bleiben würde.
»In Deckung!«, zischte Jurij. »Gleich bricht hier die Hölle los …«
»Weg von der Waffe!«, übertönte ihn eine donnernde Stimme. Es war eine andere als zuvor, und sie klang, als sei sie es gewohnt, Befehle zu erteilen.
Dirk war klar, dass er sich auf den Boden werfen musste. Hängebackenschwein hatte ihm dieses Manöver in der Grundausbildung bis zum Erbrechen abverlangt. »Nur, wer im Ernstfall schnell unten ist und jede Deckung nutzt, hat bei gezieltem feindlichen Beschuss eine Überlebenschance«, hatte Mayer ihm und seinen Kameraden eingebläut.
Aber Dirk konnte einfach nicht tun, was die Grundausbildung und sein Selbsterhaltungstrieb ihm vorgaben. Nicht, solange Kinah in Gefahr war.
»Wenn ihr schießt«, fauchte er und riss die Signalpistole hoch, »jage ich die Leuchtkugel mitten in das Maschinengewehr.«
»Und … go!«, rief Biermann.
Das Maschinengewehr begann zu hämmern.
Kapitel 30
Es gibt Situationen im Leben, in denen sich innerhalb weniger Sekunden ein Schicksal entscheidet. Doch selbst wenn man im Brennpunkt des Geschehens steht und die Katastrophe herannahen sieht, ist man nicht Handelnder, sondern nur Betroffener. Der rationale Teil von Dirk wusste, dass genau dies jetzt mit ihm geschah. Er stand stocksteif mitten in der Schusslinie, anstatt sich seinem Bundeswehrtraining gemäß zu Boden zu werfen und unter allen Umständen den Kopf unten zu behalten.
Kinah. Er musste Kinah retten, die sich durch ihren verrückten Impuls in Lebensgefahr brachte.
»Jan!«, schrie er. »Nicht schießen! Kinah ist hier!«
Er wartete nicht auf eine Reaktion. Er spurtete los. Gerade, als ein Schatten vor ihm im Regen auftauchte, begann Rastalockes Maschinengewehr zu belfern. Kinah hetzte Dirk entgegen wie eine Antilope, hinter der ein Rudel Löwen her ist.
Er sprang mit einer verzweifelten Bewegung zur Seite. Matsch spritzte unter seinen Schuhen, und er drohte auszurutschen. Mit wild rudernden Armen kämpfte er um sein Gleichgewicht. Da prallte Kinah mit vollem Tempo gegen ihn und riss ihn fast von den Füßen. In der absurden Parodie eines Tanzschritts vollzog er unfreiwillig eine halbe Drehung mit ihr.
»Dirk, nicht«, keuchte Kinah, kaum dass sie aneinandergeklammert zum Stehen gekommen waren. »Ich muss diesen Wahnsinn stoppen!«
Doch eine zweite Waffe griff bereits in den Kampf ein. Es war nicht Johns Pistole, sondern eine hart ratternde, ihre Munition mit hoher Geschwindigkeit durch mehrere Läufe schießende Revolverkanone. Unterstützt von einem Nachtsichtgerät verfügte sie garantiert über große Treffsicherheit.
Dirk versuchte, Kinah mit seinem Körper zu decken und gleichzeitig zu Boden zu drücken. Sie wehrte sich nach Leibeskräften, wand sich und kratzte ihm mit den Fingernägeln über das Gesicht. Er stieß einen dumpfen Laut aus und verlor für die Dauer eines Atemzugs die Orientierung. Kinah kannte keine Gnade. Sie tat geradezu so, als wäre er ein brutaler Angreifer, und zog ihm noch einmal die Nägel über die Wange. Es schmerzte höllisch. Sie ließ nicht nach, nutzte seine Schwäche und trommelte mit beiden Fäusten gegen seine Brust. Er knickte in den Knien ein und taumelte ein Stück zurück, sodass sie seinen Griff sprengen konnte. Als sie davonrennen wollte, packte er ihre Schulter, rutschte jedoch ab. Er hätte sie mit einem oder zwei Faustschlägen niederstrecken können, und vielleicht wäre in diesem Fall ein derart brutales Vorgehen auch gerechtfertigt gewesen, aber er konnte es einfach nicht. Er konnte Kinah unmöglich schlagen, niemals und unter keinen Umständen.
Außerdem war es ohnehin zu spät. Sie lief bereits auf den Bug zu, würde ihn mit den nächsten Schritten umrunden und den Salven entgegenstürmen, die der Bordschütze des Hubschraubers abgab, um John, Biermann und das verdammte Maschinengewehr auszuschalten.
»Kinah!«, schrie er völlig außer sich.
Jurijs altes MG spuckte eine einsame Kugel aus, knatterte wie im Leerlauf und knallte dann noch einen Schuss hinterher. Vielleicht klemmte wieder der Munitionsgurt, vielleicht war die Waffe aber auch endgültig leergeschossen.
Dirk stürzte Kinah nach. Die Angst um sie verlieh ihm ungeahnte Schnelligkeit.
Sobald das Maschinengewehr verstummte, stellte auch der Bordschütze des Helikopters
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