Sturm: Roman (German Edition)
das ist verdammt furchtbar«, sagte Kinah nicht weniger heftig. »Aber gibt uns das wirklich das Recht, andere Menschen zu erschießen?«
Biermann stand so dicht vor Kinah und Dirk, dass durch den kalten Regen hindurch sein heißer Atem zu spüren war. »Du vergisst, dass das Killer sind. Menschen, die andere mit Maschinenpistolen abknallen, haben den Tod verdient.«
»Den haben sie ja auch schon gefunden«, sagte Kinah so leise, dass ihre Worte fast im Geräusch des Regens untergingen.
»Was?«
»Hast du vergessen, dass John den Hubschrauber abgeschossen hat, in dem Janettes Mörder saß?«
Biermann schwieg für eine ganze Weile, und Dirk glaubte schon, er würde sich wortlos abwenden. Doch da schüttelte er den Kopf und sagte: »Nein, das habe ich nicht vergessen. Aber es geht nicht bloß um den Mann, der den Finger am Abzug hatte, sondern auch und vor allem um die Hintermänner. Und das sind genau die, die uns hier in die Enge getrieben haben, davon bin ich überzeugt.«
»Ventura?«, fragte Kinah.
»Ja, Ventura. Der Mann, der Achmed auf dem Gewissen hat. Und in dessen Gewalt sich vielleicht auch schon deine Tochter befindet.«
***
Auf afrikanischem Schlammboden zu liegen, eingehüllt von Nebelschwaden und durchweicht vom Dauerregen, den kräftige Windböen ihm von allen Seiten entgegenpeitschten, war schlimmer als alles, was ihm der sadistische, wegen seiner Pausbacken auch ›Hängebackenschwein‹ genannte Ausbildungsoffizier Mayer während der Grundausbildung in Delmenhorst abverlangt hatte. Dirk hatte damals mit dem Standard-Bundeswehrgewehr G3 (bei ihm und seinen Kameraden wegen der kompakten Bauform nur ›Stummelchen‹ genannt) auf Pappscheiben geschossen. Nun hielt er eine einschüssige Signalpistole in den Händen und bezweifelte, dass er damit in dem ungleichen Kampf, den Biermann ihnen aufgezwungen hatte, etwas würde ausrichten können.
»Da steht jemand«, sagte Jurij. Er klang so heiser wie Mick Jagger nach einem Konzert mit anschließendem Zechgelage.
»Was?«, fragte Biermann. Er hatte sich auf die Ellbogen gestützt und spähte über die Nebelschwaden hinweg zum Hubschrauber. Jurij dagegen hatte sich gar nicht erst in den Schutz des Bodennebels zurückgezogen, sondern sich seiner Lisunov anvertraut. Er stand an den Bug gepresst, hatte eben noch behauptet, dass ihm die Wärme guttat, die über die Außenverkleidung abgeleitet wurde, dann aber hastig den Kopf aus dem Qualm gezogen, der aus der zerstörten Cockpitscheibe drang, und sich ein Stück nach vorn bewegt, um den Rauschwaden zu entgehen.
»Ich glaube, der Typ hat ein Nachtsichtgerät«, knarzte Jurij.
»Ein Nachtsichtgerät? Das ergibt doch keinen Sinn!« Aus dem Rascheln neben sich schloss Dirk, dass sich Biermann aufrichtete. »Die haben doch den starken Scheinwerfer!«
»Wahrscheinlich wollen sie uns damit in Sicherheit wiegen«, gab Jurij zu bedenken. Er lachte heiser auf. »Das ist ganz schön verrückt. Wir streiten darüber, ob wir uns heimlich verdrücken sollen, dabei haben wir in Wirklichkeit nicht die geringste Chance. Sobald die sehen, dass sich einer von uns aus dem Staub macht … hoppla. Bleibt bloß unten!«, stieß er plötzlich atemlos hervor.
»Was ist?«
»Der Typ dreht sich gerade in unsere Richtung. Jetzt keine unbedachte Bewegung! Wenn er uns sieht, ist alles aus.«
»Nicht, wenn ich ihn zuerst erwische«, sagte Biermann grimmig. »Willst du dafür etwa die letzte Salve aus unserem MG verschwenden?«, fragte Jurij.
»Nein, aber wir haben schließlich noch Johns Pistole. Lass mich nur machen.«
»Bloß nichts überstürzen.« Jurijs Stimme überschlug sich. »Achtung! Da steigt jemand aus dem Hubschrauber!«
Dirk hielt es nicht länger unten am Boden, obwohl er wusste, dass der Typ mit dem Nachtsichtgerät nur zufällig in seine Richtung zu blicken brauchte, um ihn zu entdecken. Wenn schon – diese ganze Aktion war verrückt, und auf welche Art sie endete, eigentlich egal.
Der Plan – im Grunde eher eine Kleinjungenfantasie –, den Hubschrauber samt Insassen durch einen kurzen Feuerstoß zu erledigen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Und auf eine Schießerei konnten sie sich nicht einlassen, da sie nur noch die Signalpistole hatten (die zu besitzen Dirk nicht mehr hatte verschweigen können, nachdem sie das schwere Maschinengewehr aus dem verqualmten Flugzeug geborgen und hierhergebracht hatten) und die Pistole ohne Ersatzmagazin, die Rastalocke aus den Grotten mitgenommen
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