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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sicherlich wusste, wie man Schussverletzungen auf die Schnelle verarzten konnte. Sie war die Einzige, die jemandem helfen konnte, den es schwer erwischt hatte.
    Dirk kam nicht dazu, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Der Pistolenschütze stolperte rückwärts auf ihn zu und trat ihm direkt neben der Wirbelsäule in den Rücken. Dirk wäre ihm ausgewichen, wenn er gekonnt hätte, aber sein Arm steckte unter Kinah fest. Kurz darauf traf ihn ein zweiter, weitaus härterer Tritt an der Schulter, denn der Mann kämpfte um sein Gleichgewicht und stampfte dabei mit dem Fuß auf. Dirk hatte das Gefühl, als würde seine Schulter durch seinen Körper hindurch in den feuchten Boden gerammt.
    Der Pistolenschütze verlor endgültig den Halt und stürzte mit einem Keuchen auf sie beide nieder. Dirk wurde zusammengestaucht wie eine Maus, auf der ein Elefant landete – zumindest kam es ihm so vor. Ein Ellbogen stieß mit mörderischer Wucht in seine Niere. Dirk konnte nicht mehr atmen, nicht mehr denken.
    Schüsse bellten durch die Nacht und zerrissen jeden Gedanken in tausend Fetzen, und der Schmerz, der durch Dirks Körper jagte, schien seine Lungen zu lähmen. Der Mann, der auf ihn und Kinah gefallen war, machte es ihm nicht einfacher. Er rückte keineswegs von ihnen ab, sondern schob sich stattdessen über sie hinweg noch ein Stück auf den glühenden Leib der Lisunov zu.
    Dann ebbten die Schüsse ab. Die Waffe, die als Erste auf das Maschinengewehr geantwortet und harte, schnelle Salven abgefeuert hatte, spie noch ein paar kurze Feuerstöße und beendete dann ihre todbringende Tätigkeit, als seien ihr die Ziele ausgegangen. Auch die übrigen Schützen – wie viele es waren, wusste Dirk nicht – stellten einer nach dem anderen das Feuer ein.
    Biermanns verrückter Plan war fehlgeschlagen. Dirk hatte nichts anderes erwartet. Und es war ihm egal. Für ihn zählte nur Kinah, die Schwere ihrer Verletzung und die Frage, ob Lubaya sie retten konnte.
    Eine scheinbar endlose Zeit lang lag Dirk einfach da, eingeklemmt zwischen Kinah, dem Mann und dem schlammigen Boden, unfähig, sich aus eigener Kraft zu befreien. Dann hörte er Schritte. Sie hielten direkt auf ihn zu. Er wusste, dass er etwas unternehmen musste, aber er konnte nichts tun. Er konnte nicht richtig atmen, er konnte nicht viel sehen. Blut, da war Blut, das nahm er allerdings deutlich wahr. Jede Menge Blut, das sich mit dem Wasser vermischte, welches der Himmel wie eine göttliche Geißel zu ihnen herabschickte. Dirks rechte Hand lag in einer zähen Flüssigkeit – im Blut, das aus Kinah herauspulste, davon war er überzeugt. Dennoch glaubte er, Leben in ihr zu spüren, ein sachtes Zittern unter seiner linken Hand, die eher Halt suchend als Schutz bietend auf Kinahs Schulter ruhte. Aber er fürchtete, dass dies vielleicht nur die Resonanz seines brennenden Wunsches war, sie zu retten.
    Die Schritte kamen unbarmherzig näher.
    Dann blieben schwere Stiefel direkt neben Dirks Gesicht so abrupt stehen, dass sie es mit Schlamm besprengten. »Kinah?«
    Der Stimme nach hätte es Jan Olowski sein können, doch Dirk war sich nicht sicher. Er wusste gar nichts mehr – noch nicht einmal, ob der Mann auf ihm Biermann oder John war und ob er seine Pistole wirklich leergeschossen hatte. Womöglich wartete er ja nur darauf, dass sich sein Gegner zu ihm beugte, um ihn dann niederzuschießen.
    »Kinah?«, wiederholte der Mann.
    Seine Stimme klang ängstlich. Ja, das war Olowski, erkennbar nicht nur an dem obligatorischen Holzfällerhemd, sondern auch an den langen Haaren, die er zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Der Mann, der Kinah in den letzten drei Jahren nähergestanden hatte als jeder andere. In seinem Tonfall schwang die gleiche Angst mit, die auch Dirk empfand: die Angst davor, dass Kinah den Kugelhagel nicht überlebt hatte.
    Dirk öffnete den Mund, kam jedoch nicht dazu, etwas zu sagen. Olowski ging in die Hocke, schnell und mit einer unsicher wirkenden Bewegung, als hätte er zu viel getrunken.
    »Wenn hier noch jemand meint, den Revolverhelden spielen zu müssen, dann nur zu«, ertönte eine zweite Stimme. »Wir sind bis an die Zähne bewaffnet. Auf ein kleines Feuergefecht mehr oder weniger kommt es uns nicht an.«
    Dirk verstand die Worte, nicht aber den Sinn der merkwürdigen Formulierung. Waren die Männer aus dem Hubschrauber gekommen, um ihnen den Gnadenschuss zu geben? Oder hatten sie etwas ganz anderes vor?
    Ehe er sich den Kopf darüber zerbrechen konnte,

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