Sturm: Roman (German Edition)
der sich auf seinen Urlaub freut, sondern mit dem panischen Gefühl, dass der Pilot viel zu schnell runterging. Und dann sauste auch schon die Landebahn auf sie zu, oder besser und richtiger gesagt: Sie sausten auf die Landebahn zu. Dirk klammerte sich so fest an die Almlehnen seines Sessels, als wolle er sie zerquetschen. Er hatte Angst, ohne Zweifel, und sein Herz hämmerte wie verrückt. Wenn sich die Nase der Maschine in die Piste bohrte und Metall barst und die Sitze aus ihrer Verankerung gerissen wurden und Flammen hochzüngelten und sich erstickender Rauch ausbreitete, dann würde es zu spät sein. Dann würde er Akuyi nicht mehr helfen können, weil er bei einen Flugzeugabsturz umgekommen war.
Sie hätten doch mit dem Auto fahren sollen.
Aber zu spät. Sie waren schon fast unten. Dirks Muskeln verkrampften sich dermaßen, dass er sich nicht mehr hätte rühren können, selbst wenn er es gewollt hätte. Der Moment kurz vor dem Aufsetzen war der Schlimmste. Dirk war noch nie etwas passiert, nicht bei den drei Mal, die er aus beruflichen Gründen nach New York hatte fliegen müssen, und auch nicht das eine Mal, als er mit Kinah den schwarzen Kontinent hatte erkunden wollen, aber nicht über ein ägyptisches Hotel mit besonders breiten Betten hinausgekommen war. Es würde auch diesmal nichts passieren …
Er brauchte gar nicht aufzusehen, um zu wissen, dass etwas geschah. Es kündigte sich ein, zwei Sekunden vorher an, als der Wind lautstark an dem ausgefahrenen Fahrwerk zerrte – ein Geräusch, das Dirk ebenso unangenehm war wie das der ausfahrenden Landeklappen. Kurz darauf verspürte er ein kaum merkliches Schütteln und Beben, wie in einer Diskothek, wenn ein harter Beat die Bassboxen quält.
»Was zum Teufel …«, begann Biermann.
Weiter kam er nicht.
Das Flugzeug wurde wie von der unsichtbaren Faust eines Riesen getroffen, angehoben und nach rechts geschleudert. Das Gepäckfach über Dirk sprang auf, und eine Tasche knallte auf den Kabinenboden, gefolgt von anderen Gepäckstücken, Zeitschriften und Handtaschen, die sich selbstständig machten und wild durcheinanderpurzelten. Erst da schrie jemand auf, hell und kehlig, und als hätten die übrigen Passagiere nur auf dieses Signal gewartet, brüllten und schrien sie plötzlich alle und beugten sich in ihren Sitzen weit nach vorne, in Erwartung des Absturzes, der jeden Moment erfolgen konnte. Das Kabinenlicht flackerte, ein weiteres Anzeichen dafür, dass etwas ganz und gar nicht stimmte, und dann heulten die Motoren auf, weil der Pilot vollen Schub auf die Triebwerke gab, um wieder durchzustarten.
Ein zweiter Schlag traf die Maschine, diesmal von oben – Thors Hammer, der Dirk und all die anderen zerschmettern wollte, bevor sie einen Fuß auf afrikanischen Boden setzten.
Die Maschine sackte durch.
Die Triebwerke verstummten. Zumindest kam es Dirk so vor, denn das Gebrüll all der Menschen um ihn herum erstickte jeden anderen Laut. Dirk selbst schrie nicht. Er klammerte sich weiter an seinen Sitz, unfähig, sich zu rühren oder auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Das ist es also, dröhnte es immer und immer wieder in seinem Kopf. Das ist es also.
Er hatte gewusst, dass einer seiner Flüge irgendwann einmal in einer Katastrophe enden würde. Es spielte keine Rolle, wo und wann, oder vielmehr: Es hätte keine Rolle gespielt, wenn er nicht seine Tochter hätte suchen und retten müssen. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen, er durfte hier nicht sterben.
Leider nutzte ihm dieser Gedanke überhaupt nichts. Er konnte rein gar nichts tun. Ein kleiner Rollenkoffer (Wer hatte den nur als Handgepäck durchgehen lassen?) fiel aus dem Gepäckfach schräg über ihm, traf die Schulter eines fetten Mannes, der wie eine Qualle in seinem Sitz hockte, und prallte dann auf den Boden, wo er aufplatzte und überall Wäschestücke, CDs und Bücher verteilte. Die Qualle wandte den Kopf in Dirks Richtung, und für zwei, drei hektische Atemzüge trafen sich ihre Blicke. Die Augen des Dicken waren weit aufgerissen und drückten so viel Panik und Schmerz aus, dass Dirk bis ins Mark erschrak, so verrückt das in dieser Situation auch erscheinen mochte. Vielleicht deshalb, weil die Innenwelt seiner Angst und die Gewissheit, dass es irgendwann bei einem Flug zu einer Katastrophe kommen musste, nun auf eine äußere Entsprechung trafen. Vielleicht, weil er beim Anblick dieses schwitzenden, zutiefst verängstigten Menschen begriff, dass es nicht länger bloß ein Albtraum,
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