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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Neugierde, und als der Bus hielt und sich seine Mitteltür öffnete, stürmten sie heran wie die Fans einer Teenyband, die es auf eine Runde Körperkontakt mit ihren Stars abgesehen hatten. Die Sanitäter, die Dirk unter ihnen entdeckte, blieben sichtlich genervt mitten in der Menge stecken, und die ersten Aussteigenden hatten Mühe, den Bus zu verlassen und marokkanischen Boden zu betreten, ohne dabei einem der Schaulustigen im wahrsten Sinne des Wortes auf die Füße zu treten.
    »Das ist unsere Chance«, flüsterte Biermann Dirk zu, während sie, ihr Handgepäck dicht an den Körper gepresst, auf die offene Bustür zugeschoben wurden. »Wir hauen ab.«
    Abhauen, bevor sie die Einreisekontrolle hinter sich gebracht hatten? Dieser Gedanke erschien Dirk abenteuerlich, schließlich hatte er nicht vor, illegal nach Marokko einzureisen. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als darauf zu vertrauen, dass Biermann wusste, was er tat; denn er wollte sich nicht allein durch die neugierigen Menschen kämpfen, die sich den Passagieren Arabisch, Französisch und Englisch plappernd in den Weg stellten, um aus ihrem Mund erste Einzelheiten über die Beinahe-Katastrophe zu erfahren.
    Der stämmige Biermann, der mit seinem Stirnpflaster, den Blutresten im Gesicht und der Narbe auf der rechten Wange aussah wie jemand, bei dessen Anblick ängstliche Naturen hastig auf die andere Straßenseite wechseln, ging nicht gerade zimperlich vor. Als er und Dirk daran waren, den Bus zu verlassen, ließ er seinen Blick kurz über die Menschenmenge schweifen und hielt dann dicht an die Außenwand des Busses gedrängt auf die Führerkabine zu – und damit ausgerechnet auf zwei in lange Kapuzengewänder gekleidete Araber, die so bullig wirkten, als würden sie im Nebenberuf in der marokkanischen Variante einer Wrestling-Show auftreten. Auch das noch, dachte Dirk. Er hatte keine Lust, direkt nach der Ankunft auf dem Flughafen von Casablanca in eine Schlägerei verwickelt zu werden.
    Aber es kam anders. Als Biermann die Araber erreichte und seine Tasche wie einen Schutzschild vor sich hielt, rückten die beiden Männer zu Dirks Überraschung weit genug auseinander, um Biermann passieren zu lassen, und schoben dabei gleich ein paar andere, weitaus schmächtigere, europäisch gekleidete Marokkaner beiseite, die mit einer Schimpfkanonade reagierten, die Dirk nicht einmal ansatzweise verstand. Er beeilte sich, Biermann zu folgen, und hielt dabei seinen Rucksack fest umklammert. Nach vier oder fünf Schritten hatte er ihn eingeholt, allerdings liefen ihm bereits die ersten Schweißtropfen über die Stirn, und die ungewohnte, gleißende Helligkeit ließ ihn blinzeln wie einen schneeblinden Flachlandtiroler.
    »Und jetzt? Wie kommen wir durch die Passkontrolle?«
    Biermann warf Dirk einen überraschten Blick zu. »Auf ganz normalem Weg natürlich.«
    »Und was sollte das Ganze dann?«
    Biermann bog nach rechts ab, um einem Sanitäter auszuweichen, der hilfsbereit auf ihn zukam, und beschleunigte abermals seine Schritte. »Wir sind sicherlich die Einzigen, die nur mit Handgepäck geflogen sind. Deswegen können wir auch sofort raus. Die anderen werden noch eine ganze Weile warten müssen, bis in all dem Durcheinander ihr Gepäck ausgeladen wird und sie es am Band in Empfang nehmen können.«
    »Aha.« Dirk musste beinahe rennen, um den Anschluss an Biermann nicht zu verlieren. »War das etwa der Grund, warum Sie darauf bestanden haben, nur mit Handgepäck zu reisen?«
    »So ungefähr.« Biermann drückte die Tür auf, die ins Innere des Ankunftterminals führte. »Ich bin immer gern auf alle Eventualitäten vorbereitet. Und mit kleinem Gepäck ist man einfach flexibler. Und jetzt geben Sie mir Ihren Pass. Wir wollen doch niemanden unnötig auf uns aufmerksam machen, oder?«
    Da konnte ihm Dirk nur beipflichten. Wie in Trance nahm er wahr, dass sie die vollkommen menschenleere Halle durchquerten, auf den nächsten Einreiseschalter zuhielten und dass Biermann die Formalitäten für sie beide erledigte. Nachdem der Beamte auf den Einreisedokumenten ihre Flugnummer gesehen hatte, warf er ihnen einen verblüfften Blick zu und wünschte ihnen hastig in gebrochenem Deutsch einen angenehmen Aufenthalt, ohne auch nur einen Blick in ihre Pässe geworfen oder eine einzige neugierige Frage gestellt zu haben.
    »Na also, geht doch«, sagte Biermann in der Ankunftshalle. »Und jetzt ab zu John und Janette. Die warten bestimmt schon im Restaurant auf uns.«
    Dirk

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