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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ist nichts weiter als eine Skulptur«, sagte er langsam.
    »Nein«, widersprach Noah. »Das ist keine Skulptur, sondern eine Ibeji, ein magisches Seelendouble. Und sie wird uns zu Akuyi führen.«
    Dirk schluckte. »Wie soll das gehen? Wie soll uns eine Skulptur …«
    »Eine Ibeji.«
    »Wie soll uns eine Ibeji zu deiner Schwester führen?«
    »Gute Frage.« Plötzlich wirkte Noah wie ein Schüler, der sich in einer Prüfung mit einer kniffligen Frage beschäftigen muss. »Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass meine Schwester irgendwo in der Nähe ist. Und dass Shimeru davon überzeugt war, dass die Ibeji uns zu ihr führen würde.«
    Das klang verdammt vage, fand Dirk. Aber es war vielleicht alles, was sie hatten.
    Noah tastete über den harten Untergrund und fand schließlich auch noch die zweite Ibeji. »Nimm sie«, sagte er und streckte Dirk das aus versteinerten Walknochen gefertigte Artefakt entgegen. »Nimm sie beide. Und sorge dafür, dass sie den Platz bekommen, der ihnen gebührt, falls mir oder Akuyi etwas zustößt.«
    Dirk lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. »Warum sollte ausgerechnet euch etwas zustoßen?«
    »Weil die Krieger die Sturmgeister und Sturmdämonen gerufen haben«, antwortete Noah. »Und die werden nicht wollen, dass wir sie bändigen. Sie werden alles daransetzen, uns zu töten.«

Kapitel 36
    Noah war mindestens zehn, wenn nicht gar zwanzig Kilo leichter als Dirk und bemühte sich auch bei weitem nicht so sehr wie sein Vater, dem Sturm durch eine geduckte Körperhaltung möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Trotzdem gelang es ihm besser, sich im tobenden Wind auf den Beinen zu halten. Nachdem sie die schützende Höhle verlassen hatten, war es fast, als konzentrierte sich das entfesselte Element ganz auf Dirk, während es Noah gestattete, sich zwischen den heulenden Böen hindurchzumogeln. Dirk konnte machen, was er wollte, ungeachtet all seiner Bemühungen vergrößerte sich der Abstand zwischen ihm und seinem Sohn zusehends.
    Doch das war noch nicht einmal das Schlimmste Der Sturm trieb mit unglaublicher Geschwindigkeit dichte, dunkle Wolken über die Senke, die sich zwischen der Höhle und den beiden Hügeln erstreckte, auf die Dirk und Noah zustolperten. Obwohl sie kaum zwei Minuten benötigten, um den ungeschützten Teil der Senke zu durchqueren, veränderte sich das Wetter innerhalb dieser kurzen Zeit dramatisch. Nun stürmten von allen Richtungen schwarze Wolkengebirge heran, und aus dem fernen Wetterleuchten wurde ein unablässiges Lodern und Flackern, das das gesamte Firmament in Brand zu stecken schien. Vereinzelte Donnerschläge verwandelten sich in ein permanentes Grollen, das zwar nicht besonders laut war, aber körperliches Unbehagen hervorrief.
    Noah beschleunigte seine Schritte. Er war dennoch nicht schnell genug. Kurz bevor er das freie Terrain zwischen den beiden Hügeln erreichte, spaltete der erste Blitz den Himmel. Der zugehörige Donner folgte beinahe sofort und war derart gewaltig, dass er selbst das Heulen des Sturmes übertönte. Dann zuckten kurz nacheinander ein zweiter, dritter und vierter Blitz durch die Wolken, und Dirk konnte auf seinem Gesicht und seinen Händen spüren, wie sich die Luft mit elektrischer Spannung füllte. Ein ganzes Stück entfernt schlug ein Blitz in dürres Gesträuch und setzte es in Brand. Die Flammen erloschen so schnell, wie sie entstanden waren, doch nur eine Sekunde später fuhr ein weiterer Blitz irgendwo vor ihnen zwischen den Hügeln in den Boden. Gras und Gebüsch loderten kurz und grell auf und zerfielen zu Asche, die vom Sturm weggerissen wurde.
    Das Gewitter brachte etwas mit sich, das in diesem Teil der Welt selten, dann aber meist mit unglaublicher Heftigkeit niederging: Regen. Es war, als würden sich die Schleusen des Himmels öffnen und alles auf sie ergießen, was sich in Wochen oder gar Monaten angesammelt hatte. Dirks Kleider wurden nicht nur nass, sondern waren innerhalb kürzester Zeit vollkommen durchweicht. Seine Haare klebten derart kalt an seinem Kopf, dass es fast wehtat. Dirk zog die Schultern hoch, versuchte, sein Gesicht so zu drehen, dass die eiskalten Nadeln aus Wasser ihm wenigstens nicht in die Augen stachen, und lief geduckt hinter Noah her.
    Die beiden Hügel, auf die sie zueilten, sahen genauso aus wie die in seinem Albtraum, und auch das Wetter tat ihm den Gefallen, sich an die Vorlage zu halten. Wäre Dirk nicht schutzlos den Naturgewalten ausgeliefert

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