Sturm: Roman (German Edition)
hatte noch immer keine rechte Vorstellung davon, wer Janette war und warum Biermann sie mitgenommen hatte. Bei John war das anders. Er hatte sich gleich nach seiner Ankunft um einen fahrbaren Untersatz kümmern sollen, und Dirk konnte nur hoffen, dass Biermann damit nicht ein Uraltwrack von Taxi gemeint hatte, in das man erst dann guten Gewissens einsteigen konnte, wenn ein Schädlingsbekämpfer den Fahrgastraum von allem befreit hatte, was dort unaufgefordert herumkrabbelte.
Biermann stellte Dirks Geduld auf die Probe, indem er ihn auf einem verschlungenen Weg quer durch die Ankunftshalle, wieder nach draußen und dann in den Abflugbereich führte, um schließlich die Treppe zum Flughafenrestaurant hinaufzueilen, die Tür mit einem lauten Seufzer aufzustoßen, sich in dem lichtdurchfluteten und erstaunlich behaglich eingerichteten Raum umzusehen und zu murmeln: »Und wo sind sie jetzt?«
Die Frage war berechtigt. Das Restaurant war nicht gerade gut besucht. Dirk entdeckte neben mehreren europäisch gekleideten Arabern drei Männer und eine Frau, die in knöchellange Gewänder mit Kapuzen gehüllt waren; zwei von ihnen trugen zusätzlich eine Kopfbedeckung, die Dirk an eine jüdische Kippa erinnerte. Doch von Rastalocke und einer ihn begleitenden Europäerin fehlte jede Spur.
»Und nun?«, fragte er.
»Trinken wir erst mal einen Kaffee.« Biermann drückte das Stirnpflaster fest, das sich gelöst hatte. »Der im Flugzeug war ja ungenießbar.«
Er steuerte einen Tisch an, von dem aus er den Eingang im Auge behalten konnte. Zu Dirks Erleichterung nahm niemand von ihnen Notiz. Aber gewiss rechnete auch niemand damit, dass hier Passagiere aus der beinahe verunglückten Maschine auftauchten – und schon gar nicht so kurz nach der Landung.
Nachdem Biermann Café Latte für sie beide bestellt hatte – wobei Dirk die Fäuste ballte und sich auf die Unterlippe biss, um sein verfluchtes Verlangen nach etwas Härterem zu unterdrücken, nach einem kleinen Beruhigungsschluck, den er sich nach der Flugzeuggeschichte ja eigentlich redlich verdient hatte –, holte er eine Straßenkarte aus seiner Reisetasche.
»Lassen Sie uns zum eigentlichen Zweck unserer Reise kommen«, sagte Biermann, schob den Tischschmuck – eine heftig flackernde Kerze – beiseite und breitete die Karte aus. »Ich habe die Gegend um Casablanca markiert. Und genau …« – sein Zeigefinger wanderte über die Landkarte – »hier ist der Flughafen, auf dem wir uns jetzt befinden.«
Dirk starrte auf die Stelle, auf die Biermann zeigte, und dann auf den Namen der Stadt, die ein Stück darüber lag. Casablanca. Dort stand es. Aber etwas stimmte nicht, irgendetwas stimmte überhaupt nicht mit seiner Vorstellung überein.
Als er begriff, was es war, erstarrte er. »Casablanca liegt ja gar nicht am Mittelmeer!«
Biermann warf ihm einen irritierten Blick zu, wobei ihm seine blutverkrusteten Augenbrauen etwas Dämonisches verliehen. »Natürlich nicht. Warum sollte es auch? Die meisten großen marokkanischen Städte liegen am Atlantik.«
»Dann sind wir über den Atlantik geflogen!«
Biermann seufzte. »Natürlich. Und was spielt das für eine Rolle?«
Dirk schüttelte empört den Kopf. »Haben Sie einen Knall? Wenn uns diese Turbulenzen nicht erst bei der Landung, sondern über dem Meer erwischt hätten …«
»Haben sie aber nicht«, unterbrach ihn Biermann ungeduldig. »Außerdem haben Sie mir doch selbst erzählt, dass die meisten Abstürze bei der Landung passieren. Und das wohl vor allem bei schlechtem Wetter.«
»Schlechtes Wetter?« Dirk lachte humorlos auf und deutete auf das große Panoramafenster. »Strahlend blauer Himmel! Da draußen ist nicht die geringste Spur von einem Unwetter zu sehen. Was also ist hier wirklich passiert?«
Der stämmige Mann atmete geräuschvoll aus und griff nach seinem Café Latte. Die Kellnerin hatte ihn in der Zwischenzeit gebracht und sich nach einem kurzen, besorgten Blick in Biermanns Gesicht wieder in den Schutz der lang gestreckten, dunklen Edelholztheke zurückgezogen. »Ich kann verstehen, dass unsere Bruchlandung Sie durcheinandergebracht hat. Aber glauben Sie mir: Für afrikanische Verhältnisse war das nichts Ungewöhnliches. Leider.«
»Heißt das, dass der Flughafen in einer Gegend gebaut wurde, in der es andauernd zu Luftturbulenzen kommt?«, fragte Dirk scharf.
Biermann nippte vorsichtig an dem heißen Café Latte. »Mohamed V ist –«
»Mohamed wer?«
»Mohamed V – der Flughafen«,
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