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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Einzige, was ihn beunruhigte. Mit jeder Sekunde, die verstrich, verflog auch ein Teil seiner Überzeugung, dass der Traum ihm eine wichtige Botschaft offenbart hatte. Und dass er ihn vor einer Katastrophe gewarnt hatte, die nicht nur Dirk selbst betraf. Aber vielleicht war er ja einfach nur dabei, durchzudrehen. Nach allem, was passiert war, wäre das kein Wunder.
    »Bin ich Ihnen irgendwie auf den Schlips getreten oder was?«, bohrte Janette nach.
    Dirk blinzelte und versuchte verzweifelt, in die Wirklichkeit zurückzufinden. »Geht doch gar nicht«, sagte er schließlich. »Der Einzige, der von uns Schlips trägt, ist Ihr Birdie …«
    »Und zwar ein richtiges Prachtexemplar«, mischte sich Rastlocke ein.
    »Das will ich wohl meinen!«, brummte Biermann. »Oder hat irgendjemand etwas an meiner Krawatte auszusetzen?«
    »Nööö«, blökte Janette, und Rastalocke fügte hinzu: »I wo.«
    »Sorry, aber können wir uns mal auf die Richtung konzentrieren, in der wir unterwegs sind?« Dirk begann sich die Schläfen zu massieren. »Übrigens: Gilt nicht auch in Marokko Gurtpflicht?«
    »Da hat er recht«, sagte Biermann. »Außerdem erreichen wir gleich die Küstenstraße. Also schnall dich besser an.«
    »Wenn ihr alle gegen mich seid …«, sagte Janette schmollend. »Dabei habt ihr es nur mir zu verdanken, dass wir in die richtige Richtung fahren. Schließlich hat Dirk bloß ganze Baumstämme zersägt, statt aufzupassen, und John würde immer noch Brummkreisel im Kreisverkehr spielen, wenn ich ihm nicht gezeigt hätte, wo es langgeht.«
    »Ja, das hast du gut gemacht«, sagte Biermann. »Aber jetzt wäre es vielleicht mal an der Zeit für eine Schweigeminute, nicht wahr, mein Schatz?«
    »Ich hab schon verstanden«, sagte Janette gekränkt. »Auf mir lastet die ganze Verantwortung, aber nein, ich darf ja nichts mehr sagen.«
    Biermann tat das einzig Richtige: Er schwieg, statt den Ball noch einmal anzunehmen.
    »Die Sonne geht gleich unter«, sagte Dirk mit einem Blick in die Richtung, in der sich der Himmel rot zu färben begann. »Wann sind wir endlich da?«
    »Gleich«, murmelte Rastalocke. Er schaltete einen Gang runter, um einen überladenen Bus zu überholen, und gab Vollgas.
    »Dort!« Jetzt war es Biermann, der sich ein Stück vorbeugte, aber nur so weit, wie es der Sicherheitsgurt zuließ. »Da müssen wir rechts ab!«
    John trat in die Bremse, und zwar dermaßen heftig, dass Dirk nach vorne geschleudert wurde und mit dem Kopf auf dem Armaturenbrett aufgeschlagen wäre, wenn ihn der Sicherheitsgurt nicht gehalten hätte.
    »Spinnst du?«, kreischte Janette.
    »Wenn der Boss mir erst so spät Befehle erteilt!«, murmelte Rastalocke und steuerte den Roamer in eine scharfe Kurve.
    Dirk sah aus den Augenwinkeln ein Schild mit der Aufschrift Al Afra, das er vorher gar nicht bemerkt hatte. Biermann hatte es wohl auch erst im letzten Moment entdeckt.
    Die Straße führte direkt auf das Meer zu. Dirk beschlich ein doppelt merkwürdiges Gefühl. Der Nachhall des Traumes war immer noch in ihm – des Traumes, der ihn an Kinahs und Akuyis Herkunft gemahnt und mehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben hatte –, wobei der bittere Nachgeschmack geblieben war, dass er geradewegs auf eine Katastrophe zusteuerte. Und dann war da noch die Tatsache, dass sie auf Kinahs zweites Zuhause zufuhren. Diese beiläufige Bemerkung Biermanns hatte ihn tiefer erschüttert, als er wahrhaben wollte. Es kam ihm beinahe so vor, als hätte man ihm Kinah zum zweiten Mal weggenommen. Dass die Jahre mit ihr die glücklichsten seines Lebens gewesen waren, hatte er mit voller Wucht erst im Nachhinein begriffen, nachdem sich die Wut über ihren Verrat gelegt und der Schmerz über ihren Verlust eingesetzt hatte. Kinah und er hatten oft heftig und lautstark miteinander gestritten, und wahrscheinlich war man in der Nachbarschaft der Meinung, dass es so hatte kommen müssen. Aber das stimmte nicht – zumindest nicht, was ihn anging. Einige von Kinahs Wesenszügen waren ihm immer unbegreiflich geblieben, aber zwischen ihnen hatte auch eine tiefe, fast mystische Verbindung bestanden, die alles andere mehr als aufwog.
    Kinah war die Liebe seines Lebens, so einfach war das, und die Aussicht auf ein baldiges Wiedersehen machte ihn so nervös, als sei er ein liebeskranker Teenager vor seinem ersten Date.
    Es dauerte noch eine ganze Weile, bis sie das Meer erreicht hatten und auf die Küstenstraße einbogen, an der abermals Al Afra ausgeschildert war.

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