Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
war, am Flughafen so eine aufzutreiben?«
    »Nein«, antwortete Biermann barsch. »Aber ich kenne dich. Erst guckst du sie nur an, dann zündest du sie an – und verschwindest nach ein paar Zügen in irgendein Paralleluniversum.«
    »Du hast doch einen Knall.« Rastalocke schnaubte verächtlich. »Wenn du meinst, den Boss rauskehren zu müssen, bist du schief gewickelt. Und damit du es weißt: Bislang habe ich darauf verzichtet, im Auto zu rauchen. Aber jetzt werde ich euch so einnebeln, dass ein verqualmtes Zugbistro dagegen das reinste Lungensanatorium ist.«
    Biermann tat das, was er am besten konnte: gar nichts. Einen Moment lang schien Rastalocke darauf zu warten, das sein Boss explodierte, doch dann wandte er sich mit einem ärgerlichen Kopfschütteln ab und marschierte so zielstrebig los, als wüsste er genau, wo der Grotteneingang lag.
    Biermann stieß einen Seufzer aus und folgte ihm, sodass auch Dirk nichts anderes übrig blieb, als sich anzuschließen. Vor einigen Stunden hatte er nicht darauf geachtet, wie viele Häuser sich entlang dieses erbärmlich schmutzigen Strandes aufreihten. Aber das war auch nicht nötig gewesen. Er erinnerte sich daran, dass er aus dem Roamer ausgestiegen und mit fast traumwandlerischer Sicherheit den Weg zu jener Bungalow-Terrasse genommen hatte … Als hätte er gespürt, dass Kinah diesen Weg schon zigmal vor ihm gegangen war. So etwas wunderte ihn schon lange nicht mehr. Früher hatte er nicht an den sechsten Sinn geglaubt, doch Kinah hatte ihn eines Besseren belehrt und ihm beigebracht, dass ein Mensch nichts mit der Logik und den maschinellen Gesetzen eines Computers zu tun hatte. Es gab so etwas wie den sechsten Sinn, und vor allem gab es eine tiefe Verbindung zwischen ihm und Kinah. Sie hätte vor drei Jahren abreißen können, als Kinah in aller Eile ihre Koffer gepackt hatte und mit unbekanntem Ziel in ein Flugzeug gestiegen war, aber offenbar hatte sie sich nur gedehnt, denn das, was zwischen ihnen war, ließ sich nicht einfach durch eine räumliche Trennung auslöschen. Wie auch immer: Er war ganz in ihrer Nähe.
    Der Gedanke elektrisierte ihn. Sein Gefühl war kein Radargerät, doch es würde ihn auf der Suche nach Kinah leiten, dessen war er sicher, jetzt, da er ihre Ausstrahlung, ihre Präsenz ebenso deutlich spürte wie in jenem verzauberten Moment ihres Kennenlernens vor einer halben Ewigkeit.
    Nur noch wenige Schritte, dann hatten sie die Bungalows erreicht. Im ersten war es so stockdunkel wie im zweiten und dritten … aber der vierte und letzte musste es sein. Als die Auffahrt in Sicht kam, in die Rastalocke den Roamer Stunden zuvor mit viel Geschick hineingezwängt hatte, blieb Dirk stehen und versuchte, der Dunkelheit so viele Informationen wie möglich zu entreißen. Das Erste, was ihm auffiel, war der Nebel, der aus dem Garten – nein, vielmehr aus dem Haus – hervorzuquellen schien. Und das Zweite war die graue Wand, die dahinter hing und selbst das bisschen Licht verschluckte, das durch die Wolkendecke drang. Es war nicht bloß unheimlich, sondern beängstigend, zumal Dirk in diesem Moment noch etwas anderes bemerkte: das Fehlen jeglichen Brandungsgeräusches und auch jeden anderen Lautes, abgesehen von dem penetranten Zirpen der Grillen.
    Es war, als hätte sich das Meer von diesem Küstenabschnitt zurückgezogen und mit ihm alles Leben.
    Wie war das noch mal bei Tsunamis? Dirk versuchte, sich zu erinnern, aber es wollte ihm einfach nicht gelingen, einen klaren Gedanken zu fassen. Verwirrende Bilder stiegen in ihm auf, Bilder von der Katastrophe, die vor Jahren die Malediven, Sumatra, Indien und viele andere Länder vollkommen unerwartet getroffen und hunderttausende Menschen das Leben gekostet hatte, Bilder von fürchterlicher Eindringlichkeit. Die Bilder jener Touristen, die ihre kleinen Digicams auf das heranrasende Unheil gerichtet hatten, nicht wissend, was die Menschen erwartete, die sie filmten, und was kurz darauf auch sie selbst erwartete, als die Welle auf sie zuraste und sie sich die Seele aus dem Leib rannten, um den Wassermassen zu entkommen. Herrgott, es konnte doch nicht sein, dass so etwas gerade hier geschah! Es hieß, dass das Meer unmittelbar vor einem Tsunami zurückwich, als wolle es die Leichtsinnigen dazu verlocken, sich die Sache aus der Nähe zu betrachten …
    »Nun kommen Sie schon!«, drängelte Biermann. »Wir haben noch etwas vor. Und die Nacht ist kürzer, als uns lieb sein kann.«
    »Ja.« Dirk räusperte sich.

Weitere Kostenlose Bücher