Sturm: Roman (German Edition)
so genannte Erkenntnisse herausposaunen, die alles andere als gesichert sind. Und dass die Medien ihnen bedenkenlos alles nachplappern. Oder haben Sie irgendwelche Anzeichen für eine Eiszeit bemerkt?«
»Nein. Aber für die Erderwärmung.«
»Ja, allerdings in erster Linie doch für eine generelle Klimaveränderung, oder nicht?«
Dirk nickte. »Natürlich. All diese Katastrophen …«
»Eben. All diese Katastrophen – von denen uns jetzt und hier eine bevorsteht, verdammte Scheiße.« Olowski betrachtete die Spitze seiner Zigarette. Seine Hand zitterte leicht. »Satellitendaten belegen, dass sich die Tropen in den vergangenen dreißig Jahren um über zweihundert Kilometer vergrößert haben. Dieser Prozess hatte also schon längst eingesetzt, als die Experten noch die Gefahr einer Eiszeit sahen.«
»Lassen Sie mich doch endlich mit der Eiszeit in Ruhe!«
»Einverstanden.« Olowski nahm einen tiefen Zug. »Wenn Sie damit einverstanden sind, dass wir uns mit den wahren Ursachen für das beschäftigen, was gerade geschieht.«
Dirk nickte matt. Es war sinnlos, Olowski zu widersprechen. Der Mann hatte eine Mission. Und Menschen mit einer Mission aufhalten zu wollen war pure Energieverschwendung.
Olowski legte die Zigarette ab und griff nach einem zerknitterten Blatt Papier. »Für die Forscher ist es Spekulation, dass die Klimaverschiebung auf die vom Menschen verursachte globale Erwärmung zurückzuführen sein könnte.« Er blickte auf. »Erstaunlich, nicht? Dieses Ergebnis beruht auf umfangreichen Untersuchungen, an denen amerikanische und deutsche Institute beteiligt waren, darunter das Potsdam-Institut für Klimaforschung, an dem ich lange Zeit gearbeitet habe.«
»Wie schön für Sie.«
Olowski schüttelte den Kopf. »Überhaupt nicht schön. Denn im Grunde genommen steht hier: Trotz umfangreichster Forschungen, der Auswertung von Satellitendaten und der aufwändigsten Computersimulationen, zu denen wir heute in der Lage sind, wissen wir nichts.«
»Sie wissen immerhin, was passiert.«
»Ja, ganz toll.« Olowski knüllte den Zettel zusammen und warf ihn mit einer wütenden Bewegung in Richtung der Öffnung, durch die sie die Grotte betreten hatten. »Diese Information hat genauso viel Wert wie die Diagnose eines Arztes, der den Patienten ansieht und sagt: Ich sehe, dass Sie ernsthaft krank sind. Aber leider weiß ich nicht, woran das liegt. Und helfen kann ich Ihnen sowieso nicht.«
»Wieso helfen? Wettersimulation …«
»Hat nichts mit Hilfe zu tun, da haben Sie recht.« Olowski nickte grimmig. »Zwischen Diagnose und Behandlung besteht ein großer Unterschied. Aber haben Sie schon vergessen, dass Wissenschaftler vor Jahren damit prahlten, wir könnten das Wetter bald nach unseren Wünschen beeinflussen?«
»Nein. Aber davon redet doch heute niemand mehr.«
»Und das aus gutem Grund«, sagte Olowski. »Im Kleinen war das schon immer möglich. Die Schamanen wussten bereits vor Jahrtausenden, wie man Wolken zum Abregnen bringen kann – und das ohne Flugzeuge, mit denen Silber- oder Bleiionen in die entsprechende Luftschicht transportiert werden. Und sie wussten noch viel mehr, nämlich, dass man sich die Natur nicht untertan machen kann, sondern mit ihr leben muss.«
Bevor Dirk den Sinn seiner Worte richtig erfasste, setzte Lubaya den Pinsel an seinem Bizeps an und begann, langsam nach unten zu streichen. Eine feurige Lohe jagte durch Dirks Arm. Olowski betrachtete Lubaya stirnrunzelnd – warum, das begriff Dirk erst, als sie sagte: »Es kann jetzt ein bisschen wehtun.«
Ein bisschen wehtun war die Untertreibung des Jahres. Zunächst hatte Lubayas Pinsel nur über unverletzte Haut gestrichen, doch nun erreichten die Dachshaarborsten die Wundränder.
Es hätte nicht schlimmer sein können, wenn sie Salzsäure in die Wunde geträufelt hätte. Dirk wollte aufschreien, aber kein Laut drang über seine Lippen. Der Schmerz war viel zu heftig. Schließlich entrang sich seiner Kehle ein ersticktes Röcheln.
»Dauert nicht lange«, murmelte Lubaya und verstrich ungerührt weiter ihre teuflische Tinktur. »Wenn ich das nicht mache, wirst du sterben, weißer Mann.«
Dirk war sicher, dass er auch sterben würde, wenn sie weitermachte. Sie tauchte den Pinsel in die Flüssigkeit, deren Zusammensetzung wahrscheinlich mehr Ähnlichkeit mit einem chemischen Kampfstoff als mit einer heilenden Arznei hatte, stieß einen tiefen Seufzer aus – und drückte die Borsten mit aller Kraft in die Wunde.
Zumindest
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