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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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kam es Dirk so vor. Wahrscheinlich setzte sie den Pinsel nur ganz sanft auf und strich vorsichtig die Stelle des Rattenbisses ein, doch für Dirk fühlte es sich an, als würde sie ihm mit einer auf höchste Stufe gestellten Schleifhexe Haut und Muskelgewebe wegreißen und den Knochen freilegen. Seine Hand war schon zuvor ein schmerzender, nutzloser, verquollener Fleischklumpen gewesen, aber jetzt erreichte die Qual eine Intensität, die ihn an den Rand des Wahnsinns trieb.
    »Ich halte nicht viel von Narkose«, sagte Olowski. »Aber manchmal …«
    Er brauchte den Satz nicht zu beenden. Dirk gab leise, wimmernde Laute von sich, die er als geradezu lächerlich empfunden hätte, hätte er sie bei anderer Gelegenheit gehört.
    »Kollegen …«, flüsterte er und versuchte, aus seinem Bewusstsein zu verdrängen, was Lubaya mit ihm anstellte. »Sie haben behauptet, Sie und Kinah seien Kollegen. Heißt das … heißt das, Sie haben … Sie haben zusammen irgendwelche Forschungen betrieben, um Unwetter vorhersagen zu können?«
    »Mit Unwettervorhersagen haben wir nur am Rande zu tun«, antwortete Olowski. »Eher mit der Verhinderung von Unwettern. Oder, um es anders auszudrücken: Wir wollen verhindern, dass es zu einem Klimakollaps kommt, der durch eine gigantische Sturmkatastrophe ausgelöst werden könnte. Wobei, und das war der entscheidende Hinweis Ihrer Frau, Kinahs Heimat der Ort sein könnte, an dem die Katastrophe ihren Ausgang nimmt« Olowski lehnte sich zurück. »Kinah hat sich sehr eingehend mit den Mythen und mündlichen Überlieferungen der Region beschäftigt, in der ihre Ahnen lebten. Das, was sie mir erzählt hat, ist erstaunlich deckungsgleich mit dem wenigen Material, das ich aus alten Dokumenten habe zusammentragen können. Aber was das Wichtigste ist: Es passt auch zu meinen Forschungsergebnissen. Demnach gibt es einen Knotenpunkt in Afrika, an dem Wetterkatastrophen schon immer ihren Anfang genommen haben. Wir müssen diesen Knotenpunkt finden«, sagte er mit beschwörender Stimme und beugte sich wieder vor, »und zwar so schnell wie möglich. Denn die große Katastrophe dürfte unmittelbar bevorstehen. Und wir müssen sie unbedingt schon im Keim ersticken!«
    »Na wunderbar.« Dirks Stimme klang selbst in seinen eigenen Ohren schrill und misstönend, und er spürte, wie sich sein Geist als Reaktion auf die unerträglichen Schmerzen, die ihm Lubaya mit ihrer Pinselorgie bereitete, zu verwirren begann und ihm Tränen in die Augen schossen. »Dann sagen Sie mir doch … mit welchem Hokuspokus Sie das schaffen wollen …« Er verstummte, als Lubaya den Pinsel hochnahm
    »Mann, Mann, Mann«, murmelte sie. »Das sieht gar nicht gut aus. Ich wünschte, Shimeru wäre hier. Was hat dich nur gebissen?«
    »Eine Ratte«, presste Dirk hervor.
    »Ja natürlich«, sagte Lubaya. »Aber das meinte ich nicht. Du hast Angst vor Ratten, nicht wahr?«
    Angst? Hatte Lubaya wirklich Angst gesagt? Er hatte keine Angst vor Ratten, er geriet in Panik, wenn er auch nur an sie dachte, ganz zu schweigen davon, wenn er mit einer Ratte konfrontiert wurde.
    Lubaya schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Sie sah sehr ärgerlich aus. »Ich bin ja so dumm«, schimpfte sie. »Du bist nicht nur von einer Ratte gebissen worden, sondern auch von deiner eigenen Angst.«
    »Was meinst du damit?«, fragte Olowski.
    Lubaya wandte sich dem Meteorologen zu. »Wenn er Angst vor Ratten hat, dann ist das hier auch kein normaler Rattenbiss, sondern etwas viel Schlimmeres. Dann ist alles Gift, alles Böse, was in ihn eingedrungen ist, unendlich verstärkt worden. Dann ist jetzt etwas in ihm, das ihn an diesem Rattenbiss sterben lassen will. Und das müssen wir zuerst bekämpfen. Wir müssen das Übel bei der Wurzel packen …«
    Sie verfiel in undeutliches Gemurmel. Aber vielleicht war Dirk auch einfach nicht mehr in der Lage, ihren Worten zu folgen. Im Grunde machte das keinen Unterschied, er hatte sowieso verstanden, was Lubaya gesagt hatte. Ja, es stimmte – irgendetwas in ihm erwartete, dass er an einem Rattenbiss sterben würde. Schon immer hatte er gewusst, dass es eines Tages so enden würde. Irgendwann würde ihn eine Ratte holen. In schlaflosen Nächten hatte er sich Szenen wie diese ausgemalt oder auch andere, in denen ihn eine Rattenschar gejagt hatte. Mit hämmerndem Herzen davonlaufen, sich gehetzt umblicken, die widerlichen Kreaturen sehen, ihre Gier, ihre Verschlagenheit, ihren unbedingten Willen, ihn zur Strecke zu

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