Sturm ueber Cleybourne Castle
wirklich genug!" Der Duke war kreideweiß geworden vor Zorn.
Die meisten Menschen waren bisher vor seinen Wutausbrüchen zurückgewichen. Jessica jedoch stand scheinbar ruhig mit verschränkten Händen vor ihm, denn sie hatte eine solche Reaktion ja bewusst herausgefordert und würde nun auch dazu stehen.
„Sie sind eine giftige, spitzzüngige Person, und ich dulde Sie keinen Augenblick länger in meinem Arbeitszimmer", fuhr Cleybourne in gefährlich halblautem Tone fort. „Ginge es nicht darum, dass sich ein Mädchen im Alter von Miss Carstairs nicht ohne eine Gouvernante in meinem Hause aufhalten kann, würde ich Sie noch heute vor die Tür setzen."
„Zweifellos würden Sie das tun. Aber ich sagte bereits, dass ich meinen Auftrag vom General erhalten habe und ihn ausführen werde, ganz gleich, ob Ihnen das lieb ist oder nicht."
„Verlassen Sie jetzt diesen Raum, und kommen Sie mir bitte so wenig wie möglich unter die Augen, während Sie sich mit Ihrem Zögling in Cleybourne Castle aufhalten."
„Mit Vergnügen, Euer Gnaden." Jessica neigte leicht den Kopf, wandte sich um und ging hoch erhobenen Hauptes aus dem Zimmer. Im Korridor hörte sie noch irgendetwas auf den Tisch krachen und danach einen unterdrückten Fluch.
Heute wird er sich bestimmt nichts mehr antun, dachte sie befriedigt. Stattdessen wird er vermutlich die ganze Nacht darüber nachdenken, wie er mir meine Unverschämtheit heimzahlen kann.
Lächelnd stieg sie die Treppe empor und ging in ihr Zimmer. Lesen würde sie nun heute auch nicht mehr.
Das Buch, das Richard Cleybourne auf seinen Schreibtisch geworfen hatte, nachdem Jessica gegangen war, konnte seinen Ärger auch nicht dämpfen. Er kam sich danach vielmehr etwas kindisch vor. Ruhelos ging er eine Zeit lang in dem Raum hin und her, ohne den gewünschten Gleichmut zu finden. Schließlich gab er die fruchtlosen Bemühungen auf und begab sich in sein Schlafzimmer. Dort allerdings tat sein Kammerdiener noch ein Übriges, indem er sich über einen Portweinfleck auf dem Frackärmel des Duke erregte. Cleybourne verbiss sich jedoch eine Zurechtweisung, denn Noonan hatte ihn schon bedient, als er noch ein halbes Kind war, und nun konnte er schlechterdings seine Missstimmung an ihm auslassen.
Mit Baxter war das ähnlich. Caroline hatte ihren Mann seinerzeit ausgelacht und gesagt, er sei der einzige Mensch, den sie kenne, der von seinen Dienern geknechtet würde. Doch er brachte es einfach nicht fertig, mit den beiden Alten hart ins Gericht zu gehen - auch nicht mit Miss Brown. Die drei hatten ihn praktisch erzogen, mehr als seine Eltern, und desgleichen natürlich sein Kindermädchen, dem er im Dorf ein nettes Häuschen geschenkt und eine ausreichende Rente ausgesetzt hatte.
Die alte Dienerin war inzwischen so betagt, dass sie kaum noch etwas erfasste. Ihren ehemaligen Schutzbefohlenen aber erkannte sie immer wieder.
Wenigstens eine Stunde lag Richard Cleybourne noch schlaflos im Bett und dachte darüber nach, was er der boshaften Miss Maitland noch hätte sagen können. Dabei fragte er sich, wie sie wohl mit Vornamen heißen mochte. Er beschloss, dass der einzig passende Name für eine solche Person Xanthippe wäre. Er würde so schnell wie möglich eine andere Gouvernante für Gabriela ausfindig machen und dann Miss Maitland ganz kühl und ungerührt mitteilen, dass er ihre Dienste nicht mehr benötigte. Bei dem Gedanken an ihren Gesichtsausdruck nach dieser Eröffnung musste er trotz seines wieder angefachten Ärgers unwillkürlich lächeln.
Doch im selben Augenblick wusste er, dass er nichts dergleichen tun würde. Miss Maitland war schon seit Jahren mit dem Mädchen zusammen, und die Kleine hatte wahrlich schon zu viel durchmachen müssen. Er hatte ohnehin ein schlechtes Gewissen, weil er Gabriela in andere Hände geben wollte. Immer wieder musste er daran denken, dass Carstairs ihm seine Tochter anvertraut hatte und dass er den alten Freund im Stich lassen wollte. Als Roddy starb, hätte er das Mädchen gern genommen und zusammen mit Alana aufwachsen lassen, wenn auch der Großonkel wahrscheinlich die bessere Wahl gewesen war. Doch jetzt... Obwohl Gabriela älter war, als Alana heute wäre, so würde ihn ihre Anwesenheit doch immer an den schmerzlichen Verlust erinnern.
Bei Rachel und Michael würde die Kleine sich viel wohler fühlen. Die beiden hatten keine Kinder und würden Gabriela mit offenen Armen aufnehmen. Ihre aufrichtige, freundliche Art würde dem Mädchen gefallen, und
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