Sturm ueber Cleybourne Castle
worden. Offensichtlich konnte er seine Absichten nicht in die Tat umsetzen, bevor er mit Rachel oder irgendeinem anderen hinsichtlich der Übernahme der Vormundschaft übereingekommen war, nachdem man ihm so unerwartet die Verantwortung für Gabriela übertragen hatte. Ein entsprechendes Schreiben an Rachel war bereits abgeschickt, doch es konnte sich Tage, wenn nicht gar Wochen hinziehen, bis er Antwort darauf bekommen würde. Danach würde noch eine Ewigkeit vergehen müssen, ehe die Schwägerin endlich kommen und das Mädchen abholen konnte. Ünd was sollte er machen, wenn sie und Michael es ablehnten, die Pflegschaft zu übernehmen? Dann musste er sich anderweitig umsehen und wahrscheinlich noch monatelang in Cleybourne bleiben, diesem schrecklichen Ort mit all seinen Erinnerungen. Er würde Alanas fröhliches Lachen hören, ihr liebliches Gesicht sehen und in demselben Bett schlafen, in dem er einst mit Caroline gelegen hatte ...
Bei diesem Gedanken hatte er zu trinken begonnen und gehofft, dass der Wein seine Schmerzen lindern würde. Aber er war nicht fähig gewesen, seinem Leben ein Ende zu bereiten. So verantwortungslos war er nicht. Er hatte lediglich den Kasten mit den Duellpistolen herbeigeholt, nachdenklich die Waffen betrachtet und dann beschlossen, sie gründlich zu reinigen. Doch noch ehe er den ersten Handgriff tun konnte, war dieses grässliche Frauenzimmer hereingekommen. Sie würde seine Situation zweifellos auf die denkbar schlimmste Weise deuten.
Selten war ihm ein Mensch begegnet, der ihn derart verärgerte. Die Gouvernante war ihm von ersten Augenblick an unsympathisch gewesen, als sie geradezu gebieterisch nach ihm gerufen hatte, als sei er ein widerspenstiger Dienstbote. Sie war ungeschliffen, unüberlegt und hatte ihn mit einer kühlen Geringschätzung betrachtet, die er nicht gewöhnt war, und schon gar nicht von einer Frau. Dabei war er weit davon entfernt, von jedermann Respekt vor seiner bedeutenden gesellschaftlichen Stellung zu fordern. Seine Mutter hatte nur zu oft seine Lässigkeit beklagt und seinen völligen Mangel an der einem Duke gebührenden Selbstachtung. Jessica Maitland gegenüber aber war er versucht, sie an seinen hohen Rang zu erinnern.
„Was wünschen Sie eigentlich?" grollte er wütend. „Ständig tauchen Sie auf und stecken Ihre Nase in mein Arbeitszimmer."
„Nun, das ist ein wenig übertrieben, denn ich sehe Sie ja erst zum dritten Mal. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ich konnte nicht schlafen und wollte mir ein Buch aus der Bibliothek holen. Im Vorübergehen bemerkte ich Sie bei der eingehenden Betrachtung Ihrer Pistolen."
Jessica trat näher und musterte die kostbaren Waffen. „Eine wunderbare Handwerkerarbeit", sagte sie leichthin mit kühler Miene.
„Allerdings. Mein Vater hat sie mir geschenkt."
„Soso. Ich bin sicher, er wäre nicht sehr erfreut, wenn er wüsste, zu welchem Zweck Sie sie benutzen wollen."
„Ich beabsichtigte, sie zu reinigen", erwiderte der Duke unwirsch. „Allerdings geht Sie das überhaupt nichts an."
„Ich fürchte, das geht mich doch etwas an, da Sie Gabrielas Vormund sind. Ansonsten wäre es mir natürlich gleichgültig, wenn Sie Hand an sich legen wollten. Es gibt eben Menschen, die nicht den Mut haben, sich dem Leben zu stellen. So sind sie nun einmal veranlagt, und man kann wahrscheinlich nicht viel dagegen tun." Zornbebend sprang Cleybourne auf und schob den Sessel krachend zurück. „Wie können Sie es wagen, mir Feigheit zu unterstellen!"
Diese Frau war der leibhaftige Plagegeist, hart wie Stein und mit einer spitzen Zunge! Die Tatsache, dass sie mit ihrer roten Lockenpracht und der zarten, leicht getönten Haut bildhübsch war, machte diesen Umstand nur noch schlimmer. Unter dem blauen Morgenmantel, der die Farbe ihrer Augen noch tiefer und leuchtender machte, zeichneten sich ihre sanften Rundungen ab, und mit dem losen, ungebän-digten Haar wirkte sie wie eine Frau, bei der man nur den einen Wunsch verspürte, sie mit ins Bett zu nehmen. Doch sobald sie den Mund auftat, wollte man sie nur noch packen und durchschütteln.
Dass ausgerechnet sie den Gedanken an Liebe wieder in ihm geweckt hatte, ärgerte ihn maßlos. Seit Carolines Tod waren ihm doch alle Frauen gleichgültig geworden. Befriedigt nahm Jessica seine gereizte Miene zur Kenntnis, denn sie war sich bewusst, dass Vernunftgründe oder gar Bitten bei dem Duke auf taube Ohren stießen, zumal seine ihm treu ergebene Dienerschaft und seine Verwandten
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