Sturm ueber Cleybourne Castle
Cleybourne seine Suppe, während er sich beiläufig fragte, wo Miss Maitland wohl ihre Mahlzeiten einnahm. Wahrscheinlich mit Gabriela im Kinderzimmer, vermutete er. Es muss schwierig sein, dachte er, sich in dem merkwürdigen Verhältnis einer Gouvernante zurechtzufinden, in dem man weder zu den Dienstboten noch zur Familie gehörte. Sicherlich vermisste sie ihr früheres angenehmes Leben sehr. Das war vermutlich einer der Gründe dafür, dass sie so gehässig geworden war!
Als er feststellte, dass seine Gedanken wieder um Miss Maitland kreisten, schnitt er eine ärgerliche Grimasse. Eigentlich war er heute bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt bester Laune gewesen. Zwar hatte seine Verstimmung bis zum Morgen angehalten. Doch nach dem Frühstück war er mit der Absicht, sich bei einem scharfen Ritt den Kopf frei zu machen, zum Stall gegangen und hatte sein Lieblingspferd Poseidon satteln lassen.
Anfangs hatte er dem Hengst alles an Härte und Schnelligkeit abverlangt. Doch Poseidon schien das zu gefallen. Die Ritte in London waren ihm immer zu zahm gewesen, und der Duke hatte schon mit dem Gedanken gespielt, das Tier einem Interessenten zu verkaufen, der es mehr beanspruchen würde. Er konnte sich dann allerdings nicht dazu entschließen, sich von ihm zu trennen, und war froh, jetzt wieder mit ihm über Hecken und Zäune setzen zu können.
Als er nach einer Weile ein etwas gemäßigteres Tempo angeschlagen hatte, nahm er die Umgebung genauer in Augenschein, denn er war ja die letzten vier Jahre nicht mehr über sein Land geritten. Interessiert stellte er die Veränderungen in den Pachthöfen fest. Dort stand ein neues Haus, hier war eine alte Mauer niedergerissen worden. Die winterliche Kälte hatte dennoch etwas Belebendes, und trotz des verhangenen Himmels war die weite Landschaft schön. Hier war sein Zuhause. Unterwegs traf er auf Jem Farwell, einen seiner Pächter, der ihn zu einem Imbiss in sein Haus einlud. Es wäre sehr unfreundlich gewesen, diese Einladung abzulehnen, und so überwand sich Cleybourne, trank eine Tasse Kaffee mit Jem und seiner Frau und plauderte anschließend noch ein wenig mit den Nachbarn, die ihn hatten kommen sehen. Die unverhohlene Freude der Leute über seine Rückkehr nach Cleybourne Castle tat ihm wohl, und es war gemütlich, in dem blitzsauberen kleinen Haus am Feuer zu sitzen und sich von den Geburten, Todesfällen und Hochzeiten in den vergangenen vier Jahren erzählen zu lassen.
Als er endlich eine passende Gelegenheit fand, sich zu verabschieden, war es bereits weit im Nachmittag, und er ritt in bester Laune, die bis zum Abendessen anhielt, zum Schloss zurück. Wenn er doch nur nicht an die Gouvernante gedacht hätte! Und als hätten seine Gedanken sie herbeigezaubert, hörte er nun auch noch ihre Stimme von der großen Halle her ertönen.
Seufzend legte er den Löffel zur Seite und forderte mit einer Geste die Lakaien auf, die Suppe abzuräumen. Einer von ihnen ergriff die Terrine und den Teller, während der andere bereits den nächsten Gang servierte - gedünsteter Fisch, vom Koch malerisch dekoriert. Im selben Augenblick aber ertönte von dem entfernten Haustor her das dumpfe Geräusch des Türklopfers.
Wer, zum Kuckuck, kommt zur dieser Tageszeit uneingeladen in mein Haus, dachte der Duke ärgerlich. Unwillkürlich musste er an die späte Ankunft von Miss Maitland denken, und die dunkle Ahnung stieg in ihm auf, dass auch dieser unerwartete Besuch irgendwie mit ihr zusammenhängen würde.
Fest entschlossen, keine Kenntnis von dem zu nehmen, was an der Eingangstür vor sich ging, spießte er ein Stück Fisch mit der Gabel auf. Aber das Stimmengewirr war nicht so einfach zu überhören, selbst wenn man die Worte nicht verstehen konnte. Schließlich übertönte die entsetzte Stimme der Gouvernante das Durcheinander. „Lord Vesey!"
„Der hat mir noch gefehlt!" Wütend warf Cleybourne die Serviette auf den Tisch, sprang auf und machte sich mit energischen Schritten auf den Weg zur Eingangshalle.
Eiort stand Miss Maitland am Fuße der Treppe und starrte auf die Gruppe, die sich an der Tür gebildet hatte. Obwohl es der Duke nicht für möglich gehalten hatte, waren in der Tat Lord und Lady Vesey höchstpersönlich gerade dabei, dem verdutzten Diener ihre Mäntel zu übergeben.
„Was hat das zu bedeuten?" rief Cleybourne in wenig gastfreundlicher Manier und blickte dabei die Gouvernante vorwurfsvoll an, als sei sie an der unerwünschten Gegenwart der beiden späten Gäste
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