Sturm ueber Cleybourne Castle
bei Lord Bashersham genossen hatte.
Als die Damen den Raum betraten, erhob Cleybourne sich höflich. „Rachel. Miss Mait..." Das letzte Wort blieb ihm allerdings in der Kehle stecken, als er sich Jessica zuwandte. Er starrte sie an, als sehe er sie zum ersten Male. Dann aber schloss er ärgerlich den Mund, der ihm einen Augenblick lang offen geblieben war, räusperte sich und fuhr formgewandt fort: „Die Damen sehen heute Abend wieder bezaubernd aus."
Lady Westhampton unterdrückte ein Lächeln und erwiderte liebenswürdig: „Wie reizend von dir, Richard. Ich danke dir. Ah, guten Abend, Lord Vesey." Die Begrüßung Veseys fiel hingegen deutlich kühler aus.
Lord Vesey antwortete mit einer tiefen Verbeugung, während er Jessica nur mit einem beiläufigen Kopfnicken bedachte.
„Sind Sie sicher, dass Ihre Frau uns tatsächlich Gesellschaft leisten wird, Vesey?" erkundigte sich der Duke bei seinem ungebetenen Gast. „Bei ihrem schlechten Befinden wäre es doch eine große Anstrengung für sie."
„Ach, Sie kennen doch Leona." Lord Vesey machte eine unbestimmte Handbewegung.
„Das möchte ich eigentlich nicht behaupten", versetzte Cleybourne missmutig.
„Aber wir sollten doch lieber in den Speisesaal hinübergehen. Es ist einfacher für die Lakaien, Ihre Frau gleich dorthin zu tragen."
Die nächsten fünf Minuten verbrachten die Anwesenden damit, auf das Erscheinen von Lady Vesey zu warten. Dabei machte Lord Vesey den Versuch, eine Unterhaltung über die Qualitäten eines guten Weinbrandes in Gang zu setzen. Doch der Duke schnitt ihm das Wort ab.
„Weinbrand dürfte kaum ein Thema sein, das die Damen interessiert, Vesey. Berichte uns doch lieber von den Fortschritten in Darkwater, Rachel. Ich habe gehört, dass das junge Paar den alten Zustand des Hauses wiederherstellen will."
Nur zu bereitwillig folgte Rachel seinem Wunsch und beschrieb die Baumaßnahmen an ihrem Vaterhaus, während Vesey sich mürrisch in seinen Stuhl fallen ließ und sich die Zeit damit vertrieb, sein Spiegelbild in einem der blank geputzten silbernen Löffel zu betrachten. Jessica bemühte sich redlich, die Unterhaltung durch interessierte Fragen in Gang zu halten, wurde jedoch immer wieder durch Cleybournes anhaltende Blicke abgelenkt, die ihr auf der Haut förmlich zu brennen schienen. Vergebens fragte sie sich, was er wohl denken mochte - und welche Gedanken sie sich selbst bei ihm wünschte.
Endlich erschien Lady Vesey, von zwei Lakaien getragen, was nach Jessicas Ansicht ziemlich lächerlich wirkte. Sie trug ein golden schimmerndes Kleid, dass weitaus besser zu einem großen Londoner Ball gepasst hätte als zu einem einfachen ländlichen Abendessen. Hinzu kam, dass es im Gegensatz zu Rachels und Jessicas den winterlichen Temperaturen angepassten langärmligen Samtkleidern Arme, Hals und Nacken so wenig wie nur möglich bedeckte. Die winzigen Puffärmel waren aus hauchzartem, durchsichtigem Material, und der tiefe Ausschnitt hatte schon fast etwas Unanständiges. Leona schien zudem weder einen Unterrock noch ein Hemd zu tragen, denn man konnte unschwer die dunklen Spitzen ihrer Brüste erkennen. Jessica hatte von ihrer Freundin Viola bereits gehört, dass diese freizügige Bekleidung die neueste Mode unter den leichtlebigen Damen von Welt war und dass manche sogar so weit gingen, ihre Kleider anzufeuchten, damit sie in aufreizender Weise eng an ihrem Körper hafteten. Es war bisher unvorstellbar für sie gewesen, doch mm wurde es ihr zum ersten Mal vor Augen geführt.
„Ich fürchte, Sie werden sich in einem solch sommerlichen Gewand erkälten, Lady Vesey", sagte Rachel mit Unschuldsmiene. „Soll ich nach der Zofe läuten, damit sie Ihnen einen Schal bringt?"
Leona antwortete ihr mit einem Lächeln, dessen Liebenswürdigkeit genauso falsch war wie Rachels Besorgnis. „Nein, nein, das ist nicht nötig, Lady Westhampton. Ich friere nicht so leicht wie Sie, denn ich fürchte, ich habe ein sehr feuriges Temperament." Bei diesen Worten warf sie einen bedeutungsvollen Seitenblick auf Cleybourne.
Doch der Duke schien ihn nicht bemerkt zu haben, denn er erwiderte nur gleichmütig: „Hoffentlich bereuen Sie Ihre Entscheidung nicht, Lady Vesey. Sie sind das winterliche Klima von Yorkshire nicht gewöhnt und werden sich wahrscheinlich einen handfesten Schnupfen holen."
Nur mit Mühe verbiss sich Jessica ein schadenfrohes Schmunzeln, während sie ergänzte: „So ein Schnupfen ist etwas Scheußliches - dieses Husten und Schniefen
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