Sturm ueber Cleybourne Castle
zeige."
Unschlüssig betrachtete Jessica die farbenprächtigen Gewänder auf ihrem Bett. Der Anblick war wirklich verführerisch. Ein Samtkleid in tiefem Königsblau gefiel ihr ganz besonders. Wie für ein Abendkleid üblich, war es weit ausgeschnitten und hatte lange enge Ärmel, die an der Schulterpartie etwas gebauscht waren. Unterhalb des Busens schmiegte es sich eng an den Körper. Sie hatte sofort erkannt, dass es die Farbe ihrer Augen wunderbar hervorheben würde. Die beiden anderen Kleider waren nicht weniger schön, und es war ganz offensichtlich, dass Lady Westhampton nicht nur in Bezug auf die neueste Mode auf der Höhe war, sondern auch mit sicherem Blick Sachen ausgesucht hatte, die zu Jessicas milchweißer Haut und ihren roten Haaren vorzüglich passten.
„Probieren Sie doch eines davon an. Tilly wird Ihnen dabei helfen."
„Oh, wie herrlich!" Gabriela hatte ihr Buch zur Seite gelegt und kam neugierig näher. Vorsichtig strich sie über die zarten Stoffe. „Sie sind einfach wundervoll. Was machen Sie damit?"
„Ich leihe sie heute Abend an Miss Maitland aus", erwiderte Rachel. „Denn sie wird mit uns im Speisesaal essen."
„Wirklich? Wie aufregend! Und welches haben Sie sich ausgesucht?" Gespannt blickte Gaby auf Jessica.
„Ich ... nun, vielleicht sollte ich das Blaue einmal probieren." Jessica konnte der Versuchung nicht widerstehen. Sie wollte wenigstens sehen, wie sie sich darin ausnehmen würde.
„Ausgezeichnet. Gabriela und ich werden Schiedsrichter sein. Komm Kind, wir gehen hinüber ins Schulzimmer, während Tilly Miss Maitland beim Ankleiden hilft."
Schnell entledigte sich Jessica ihres schlichten Kittels, bevor sie sich mithilfe der Zofe das blaue Samtkleid über den Kopf streifte. Es passte wie angegossen und fühlte sich auf der Haut wundervoll weich an. Rachel und Gabriela waren von ihrem Aussehen begeistert, nur leider konnte sie selbst nicht viel dazu sagen, denn der Spiegel über ihrer Kommode war viel zu klein dafür. Schließlich wurde im Allgemeinen davon ausgegangen, dass Gouvernanten nicht eitel zu sein hatten. Soviel sie sich auch drehte und wendete, sie konnte immer nur ein winziges Stück von ihrem Anblick erhaschen, sodass Lady Westhampton zu guter Letzt alle mit hinunter in ihr Zimmer nahm, das mit einem großen ovalen Standspiegel ausgestattet war.
„Ohhh ...", war alles, was Jessica über die Lippen brachte, als sie ihr Abbild betrachtete, und sie wusste sofort, dass sie heute Abend dieses Kleid tragen würde. Auf einmal war sie wieder das junge Mädchen von vor zehn Jahren - nein, besser noch, denn solche satten Farben waren einer Debütantin auf dem gesellschaftlichen Parkett nicht erlaubt. Vielleicht lag es aber auch an der Reife, die die Zeit ihrem Gesicht verliehen hatte.
Ihre helle Haut schien neben dem dunklen Blau förmlich zu leuchten, während die Farbe ihrer Augen dadurch betont wurde. Die hohe Taille unterstrich die anmutige Rundung ihrer Brüste, deren Ansatz in dem tiefen Ausschnitt zu sehen war.
Rachel nickte zufrieden, denn sie war nun sicher, dass sich Jessica nicht mehr gegen ein geliehenes Kleid wehren würde. „Wollen Sie sich nicht von Tilly das Haar machen lassen?" schlug sie vor. „Sie ist eine wahre Künstlerin im Frisieren. "
„Ach, meine Haare sind zu widerspenstig", seufzte Jessica.
„Das ist ja direkt eine Herausforderung für Tilly. Jetzt setzen Sie sich hin, und geben Sie dem Mädchen die Gelegenheit, sein Geschick unter Beweis zu stellen."
Nun saßen alle drei, Rachel, Jessica und Gabriela, in Lady Westhamptons Zimmer und plauderten und lachten wie Schulmädchen, während Tilly sich mit Jessicas Haar beschäftigte. Als sie fertig war, musste jeder rückhaltlos ihre unvergleichliche Kunstfertigkeit bestätigen, denn es war ihr doch tatsächlich gelungen, die üppige Fülle roter Haare in weiche Locken zu drehen, die sie mit einem schmalen blauen Band und einigen geschickt verwendeten Nadeln so weit befestigt hatte, dass sie den Abend unbeschadet überstehen würden.
„Ich kann es gar nicht erwarten, Leonas Gesicht zu sehen! " rief Rachel entzückt. Dieses Vergnügen wurde ihr wenig später zuteil. Der Duke hielt sich bereits, zusammen mit Lord Vesey, in dem kleinen Salon auf und wirkte so wenig amüsiert, wie es in der erzwungenen Gesellschaft von Vesey nicht anders zu erwarten war.
Der Lord war gerade dabei, sich über die Vorzüge der Weine aus Madeira auszulassen, und schwärmte von einem Jahrgang, den er kürzlich
Weitere Kostenlose Bücher