Sturm ueber Cleybourne Castle
hat so eine offene Art, ist liebenswürdig und scheint sogar Sinn für Humor zu besitzen."
Der Duke rümpfte ein wenig die Nase. „Sie pflegt sich in der Tat sehr unverblümt auszudrücken. Etwas dergleichen habe ich noch bei keiner Frau erlebt, und ausgerechnet mir muss sie über den Weg laufen."
„Sie gefällt dir nicht?"
„Sie sagt, was sie denkt, ohne die geringste Rücksicht auf Höflichkeit oder Takt", erwiderte Cleybourne ärgerlich. „Außerdem ist sie äußerst streitsüchtig und dickköpfig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie jemals eine Stellung als Gouvernante gefunden haben könnte außer bei General Streathern, der ein ungemein geduldiger und nachsichtiger Brotherr gewesen sein muss."
„Du hältst sie also nicht für eine gute Erzieherin?" erkundigte sich Rachel mit unschuldiger Miene. „Dann solltest du sie aber entlassen, denn du möchtest doch sicher nicht, dass dein Mündel von einer unpassenden Person ausgebildet wird." Abwehrend hob der Duke die Hände. „Das ist leider unmöglich. Seit ihrem achten Lebensjahr wird Gabriela von ihr betreut. Die Kleine hat schon genug liebe Menschen in ihrem Leben verloren. Ich kann ihr nicht auch noch Miss Maitland wegnehmen."
Jetzt wäre eigentlich der richtige Zeitpunkt, um Rachel zu gestehen, dass ich nicht die Absicht habe, die Vormundschaft über Gaby anzunehmen, dachte er. Schließlich ist es einer der Hauptgründe, weshalb ich die Gouvernante nicht entlassen möchte. Rachel würde bestimmt verstehen, dass ich kein Kind mehr um mich haben kann, das mich ständig an Alana erinnert.
Allerdings war es ihm überraschenderweise nicht so schwer gefallen, wie er befürchtet hatte, mit Gabriela zu reden und mit ihr spazieren zu gehen. Natürlich war es in gewissem Sinne schmerzlich gewesen. Aber die Kleine unterschied sich im Alter und im Aussehen so sehr von Alana und hatte so eine ausgeprägte eigene Persönlichkeit, dass er in ihrer Gegenwart schon bald nicht mehr an seine tote Tochter dachte. Wahrscheinlich wäre es kein solcher Schrecken, sie Tag für Tag um sich zu haben.
Aber da war ja auch noch sein Plan, von dessen Ausführung er keineswegs Abstand genommen hatte. Miss Maitland und Gabriela mussten aus dem Hause sein, bevor er die Pistole nehmen und seinem Leben ein Ende setzen konnte. Es wäre zu grausam, dem Mädchen das in seiner Gegenwart anzutun.
Andererseits hatte Rachel ihm mit ihrem unerwarteten Besuch die allerbeste Gelegenheit geliefert, sie und Michael um die Übernahme der Vormundschaft zu bitten. Warum zögerte er also noch? Vielleicht weil es zu plötzlich vonstatten gehen sollte. Er musste Rachel mehr Zeit geben, um Gabriela kennen und vielleicht auch lieben zu lernen. Wenn das erreicht werden könnte, wäre sie sicher gern bereit, die Kleine als Mündel zu akzeptieren. Cleybourne erschien diese Überlegung sehr vernünftig, wenngleich ein Rest von Zweifel bei ihm zurückblieb.
Währenddessen hatte Rachel ihren Schwager voller innerer Unruhe beobachtet. Sie mochte Richard sehr und hätte ihm gern geholfen, aber es war wohl im Augenblick besser, sich nicht einzumischen. Zwar war sie sich nicht sicher, dass Miss Maitland mit ihrer Behauptung, sie hätten ihn zu sehr verhätschelt, im Recht war. Umso sicherer war sie sich jedoch, dass besagte Miss Maitland jetzt genau das war, was er brauchte. Es war ihr nicht entgangen, dass er die Gouvernante in einer Art betrachtet hatte, die sich deutlich unterschied von seinen Blicken auf andere Frauen. Es mochte schon sein, dass sie ihn aufbrachte, aber sie schien ihn in eben demselben Maße auch in ihren Bann zu ziehen. Nicht eine Sekunde lang hatte sie ihm seine betont desinteressierte Haltung geglaubt, so als habe er überhaupt noch nicht gemerkt, was für ein Prachtkerl die junge Frau war. Es lag eine unterschwellige Empfindung in seinem Ton, wenn er von ihr sprach - oder mit ihr. Zwar war da noch die Angelegenheit mit diesem Skandal. Aber Rachel war bereit, sogar einen Skandal, der Miss Maitland selbst betraf, zu übersehen, wenn sie Richard nur von dem quälenden Trübsinn der letzten vier Jahre erlöste.
Schade, dachte sie ein wenig belustigt, dass ich unbedingt zu Weihnachten in Westhampton sein muss. Es könnte spannend sein, die weitere Entwicklung der Dinge unmittelbar am Ort des Geschehens zu verfolgen.
7. KAPITEL
Inzwischen berichtete Gabriela im oberen Stockwerk aufgeregt von ihrem Spaziergang mit dem Duke.
„Er war so nett, Miss Jessica. Und er hat mir von Papa
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