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Sturm über Freistatt

Titel: Sturm über Freistatt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Asprin
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auch die andern es nicht sein können –, muß der Preis entrichtet werden.« Sie blickte ihn kurz an, dann sagte sie weniger hart, aber traurig. »Ich hatte eigentlich erwartet, daß meine Priester besser lesen, Harran … Du kannst doch lesen, oder?«
    Er antwortete nicht sogleich. Er dachte an Freistatt, an die Rankaner und Beysiber und kurz, unvernünftigerweise, an Shal. Dann trat er zur Kreismitte und zur Hand. Die Knochen waren versengt. Der Ring aus unedlem Metall war nun eine silbrige Lache mit Bronzeschaum. Die Alraune glühte unter seinem Blick wie Kohle, auf die man geblasen hatte.
    Er kniete sich nieder und hob flüchtig den Blick zu der gnadenlosen Schönheit vor ihm, dann drückte er seine Linke, bis wieder Blut auf die Alraune tropfte, so gelang es ihm, sie von der geschwärzten Knochenhand zu lösen.
    In den Stunden, die folgten und die in Wahrheit nur wenige Minuten waren, bis Harran wieder aufstand, lernte er eine Menge verstehen: Shal und viele der anderen Stiefsöhne und einige der Armen und Kranken, die er behandelt hatte, als er noch im Tempel diente. Der Schmerz der Verstümmelung war nicht zu beschreiben. Es war etwas ohne äußere Farbe, wie das Brennen der Alraune; und schlimmer noch, niederschmetternder war das Entsetzen, das folgte. Als Harran aufstand, hatte er keine Linke mehr. Der brennende Schmerz des Stumpfes pochte und verging, was wahrscheinlich Siveni bewirkte. Doch das Entsetzen, das wußte er, würde nie vergehen. Jeden Tag würde es neu entfacht werden durch jene, deren Blicke jener Stelle auswichen, an der sich die Hand einst befunden hatte. Plötzlich verstand Harran, daß der Augenblick der Bezahlung nicht später kommt, nie später, sondern immer jetzt ist. Sein ganzes Leben würde er jetzt sein.
    Als er wieder stand, stellte er fest, daß Siveni, genau wie sie es gesagt hatte, nun sogar mehr da war als zuvor. Er war gar nicht sicher, ob das so gut war. Nichts war so, wie es hätte sein sollen. Einige Dinge waren besonders merkwürdig. Woher kam dieses Licht, das plötzlich den Tempel füllte? Von Siveni gewiß nicht. Sie ging herum mit der unzufriedenen Miene einer Hausfrau, die heimkommt und feststellt, wie ihr Mann in ihrer Abwesenheit gewirtschaftet hat – mit dem Speer stocherte sie in Ecken und betrachtete stirnrunzelnd zerbrochenes Glas. »All das wird bald in Ordnung gebracht«, sagte sie. »Nach unserer Aufgabe. Harran, weshalb ziehst du die Brauen zusammen?«
    »Lady, das Licht …«
    »Überleg doch, Mensch«, sagte sie nicht unfreundlich, während sie über den Kreis trat, ihn studierte und mit der Sandale am Fuß sanft eine Scherbe ihrer Statue zur Seite stieß. »Der Zauber bringt Zeitlosigkeit ebenso wieder wie Zeit. Das Licht von gestern und von morgen ist uns beiden zugängig.«
    »Aber ich …«
    »Du hast den ganzen Tempel in den äußeren Kreis eingeschlossen, Harran, und du befandest und befindest dich im Tempel. Der Zauber wirkte auch auf dich. Wieso auch nicht? Er brachte meinen Körper zurück – und deine Göttlichkeit.«
    Harran starrte sie an. Siveni bemerkte es und lächelte.
    Sein Herz war dem Schmelzen nahe. Sie mochte zwar wild und heftig sein, aber sie war ungemein anziehend.
    »Was hast du denn jetzt? Oh – Göttlichkeit? Harran, mein kleiner Priester, sie liegt in deinem Blut. Diese Welt ist nicht alt genug, als daß irgendeiner weiter als im sechsten Grad mit irgendeinem anderen blutsverwandt sein könnte. Die Götter eingeschlossen. Seid ihr Menschen in Mathematik noch nicht so weit gekommen, daß ihr das nicht bemerkt habt? Da muß ich wohl etwas unternehmen.« Sie langte mit dem Speer hoch und irgendwie, ohne daß sie größer oder ihr Speer länger wurde, schlug sie ein riesiges Spinnennetz aus einer Ecke der Tempeldecke herunter. »Du wirst also eine kurze Weile sehen wie ein Gott. Und auf die Dauer, nachdem wir diesen Zauber noch einmal durchgeführt haben …«
    »Noch einmal?« rief Harran erschrocken und starrte auf seine andere Hand.
    »Ja, natürlich. Um die Tür für die anderen ilsiger Götter zu öffnen. Sie ist jetzt nur ein wenig offen, lediglich für physische Erscheinungen, wie ich schon sagte, und ich bezweifle, daß sie es überhaupt bemerkt haben. Sie sind alle bei einem Festschmaus über den Inseln des Nordens, und ich würde mich nicht wundern, wenn sie sich wieder einmal mit Anens Heurigem vollaufen ließen.« Siveni rümpfte das Näschen. »Nicht einer von ihnen leistet eines ehrlichen Tages Arbeit! Aber wenn

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