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Sturm über Freistatt

Titel: Sturm über Freistatt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Asprin
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nicht schadet, lautete der Spruch. Doch Harran wäre es nie in den Sinn gekommen, diese Worte auszusprechen. Als könnte Siveni anders denn schön sein! Oder als würde sie ihrem Priester schaden! Und dann das dreifache Gebet, während er keuchte und sich alles um ihn drehte und sein Herz in der Brust raste wie im Akt der Liebe. »Komm, o Lady der Schlachten, die zerschmettert und wieder zusammenfügt! Komm, o Erbauerin, Verteidigerin, Rächerin! Komme, komme! O komm!«
    Kein Blitz folgte diesmal, kein Donnerschlag. Nur eine Erschütterung, die Harran in eine Richtung und Messer und Buch in zwei andere schleuderte – es war schmerzlos und doch so endgültig und schrecklich wie zu träumen, daß man aus dem Bett fiel. Harran lag eine Weile ganz still, er hatte Angst sich zu bewegen, dann stöhnte er und setzte sich auf. Er fragte sich, was schiefgegangen war.
    »Nichts«, versicherte ihm jemand. Die Stimme ließ die Tempelwände vibrieren. Harran zitterte und preßte die Hände an den Kopf, als würde dadurch das Singen in ihm verstummen.
    »Sitz nicht einfach herum, Harran«, mahnte die Stimme. »Mach weiter. Wir haben eine Aufgabe zu erledigen!«
    Er rollte auf die Knie und blickte hoch.
    Sie war da. Ein Schwindelgefühl erfaßte Harran, sein Herz pochte unregelmäßig. Die Augen – sie waren es, die ihm einen Schlag versetzten: im wahrsten Sinne des Wortes, mit physischer Kraft. Danach wurde ihm bewußt, daß ihn das nicht hätte verwundern müssen. Die ›Blitzäugige‹ lautete schließlich ihr Beiname. Seine ganze Vorstellungskraft kam nicht an die Wirklichkeit heran. Augen wie Blitze – klar, erbarmungslos leuchtend, scharf wie ein ins Herz gestoßener Speer –, so waren Sivenis. Sie glühten nicht, doch das brauchten sie auch nicht. Sie selbst brauchte es nicht. Sie war einfach da, so sehr da, daß alles Stoffliche neben ihr verschwommen wirkte. Eisige Angst durchzuckte Harran bei dem Gedanken, daß es vielleicht gute Gründe gab, weshalb Götter gewöhnlich nicht unter den Menschen wandelten.
    Doch nicht einmal Furcht war von Dauer unter diesem silbrigen Blick, dieser gewaltigen Schönheit. Denn wahrhaftig war sie schön, und wieder kam Harrans Phantasie nicht an die Wirklichkeit heran. Es war eine strenge, unbefangene Schönheit, zu sehr mit anderem beschäftigt, als auf sich zu achten – unverkennbar das Gesicht der Schutzpatronin von Wissenschaft und Kunst. Wildheit verriet dieses Gesicht ebenso wie Weisheit, genau wie ihr prächtiges Gewand Gedankenlosigkeit und Grazie verriet – denn der grelle Unterkittel war achtlos über den Knien gerafft, und der lose Überkittel war der eines Mannes, vermutlich Ils’, gewiß der größeren Bewegungsfreiheit wegen ausgeliehen. Die Hand mit dem mächtigen Speer, auf dem sie lehnte, wirkte so grazil wie der einer Dame, aber der schlanke Arm sprach von ungeheurer Kraft. Siveni war in ihrer gegenwärtigen Erscheinung nicht größer als sterbliche Frauen. Doch während sie ihn anblickte, ihn mit diesen kühlen, furchterregenden Augen musterte, kam Harran sich unsagbar klein vor. Sie schob ihren Helm mit dem hohen Kamm ein Stück aus dem kühlen schönen Gesicht und sagte ungeduldig. »Steh endlich auf, Mensch! Vollende, was du begonnen hast, damit wir handeln können.« Siveni hob den Raben von ihrer Linken auf die Schulter.
    Immer noch sehr verwirrt stand Harran auf. »Madam«, gelang es ihm zu krächzen, »ich bin fertig …«
    »Das bist du keineswegs. Sie streckte den flammenden Speer aus und hob mit seiner Spitze die Schriftrolle auf. Sie nahm sie mit der freien Hand. »Stell dich nicht so dumm, Harran. Hier steht eindeutig: ›Die Hand eines tapferen, lebenden Mannes muß am Ende des Zauberspruchs von jenem, der den Zauber durchführt, geopfert werden.‹« Sie hielt ihm die Schriftrolle vor die Augen und deutete auf die Worte.
    Harran blickte auf die Kreismitte, wo die Alraune in der Knochenhand noch stumpf wie eine Kohle brannte. Doch Sivenis Stimme riß seinen Blick hoch. »Nicht jene Hand, Harran!« Das klang verärgert. »Diese!«
    Sie deutete auf das Messer, von dem er vergessen hatte, daß er es umklammerte – und auf die Linke, die es hielt.
    Harran wurde es so kalt wie auf dem Totenacker. »O meine G …«
    »Göttin?« fragte sie, als Harran sich wie üblich unterbrach. »Bedaure, aber das ist der Preis, der hier gefordert wird. Wenn das Tor, das du zu öffnen suchst, sich ganz öffnen soll – und so, wie ich noch nicht völlig hier bin, würden

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