Sturm über Freistatt
Kaiserin, gingen über Illyras Verständnis hinaus, doch nicht die Müdigkeit in der Haltung der Beysa – die ihr selbst nicht fremd war. Oder die Besorgnis im Gesicht des Prinzen – es war der Blick eines Mannes, der überzeugt ist, daß er den Aufgaben nicht ganz gewachsen ist, von denen er weiß, daß er sie bewältigen muß; diesen Blick hatte jeder einmal früher oder später.
Das plötzliche Mitgefühl befreite sie von dem Gesicht, oder was immer sie in Bann geschlagen hatte, gerade als die Beysa sich aus dem liebevollen Griff des Prinzen befreite.
»Also werde ich diese Kleider tragen, und meine Hofdamen ebenso – und wir werden wie Setmur-Clan-Fischweiber aussehen. Dies ist kein mildes Land wie meine Heimat. Seit ich hier angekommen bin, friert es mich bis auf die Knochen. Aber, Ki-thus, ich werde dich nicht zum Manne nehmen. Ich bin die Beysa. Mein Gemahl ist No-Amit, der Kornkönig, und sein Blut muß dem Land geopfert werden. Selbst wenn deine wilden Barbaren deinen Tod durch meine Hand hinnähmen, würde ich nicht den Mann, den ich liebe zum No-Amit nehmen, um ihm zwölf Monate später das Herz aus der Brust zu schneiden.«
»Nicht No-Amit, sondern Koro-Amit, Sturmkönig. Wie du selbst sagtest: Du bist nicht mehr in den sanften Landen der Bey. Nichts muß mehr sein, wie es immer gewesen ist. Freistatt ist zwar nicht viel, aber wenn es uns gehört, wird niemand in Frage stellen, was wir damit tun.
Außerdem, egal, was du von Molins Worten hältst, du hast den Knaben unten im Tempel gesehen. Du hast seine Augen beobachtet, wenn er den Sturm auslöst, und ebenso hast du sie gesehen, wenn die Stürme toben, die er nicht gerufen hat. Selbst dein Großonkel Terrai Burek sagt, daß wir das Kind davon überzeugen müssen, daß es zu uns gehört und nicht zu dem, was immer diese Stürme hierherschickt.«
Die Beysa nickte und setzte sich auf eine feuchte Steinbank. Sie streckte die Hand aus, und die Beynit schlängelte sich wieder auf ihren Arm. »Ich bin der Avatar der Bey. Mutter Bey ist in mir und leitet mich, sie ist Wirklichkeit für mich, doch ich bin nicht wie dieser kleine Junge. Ich höre ihn in meinem Schlaf, und Bey ist besorgt.
Immer hat sie die besiegten Korngötter, o ja und auch Sturmgötter, in ihr Bett geholt, und immer hat sie sie in sich aufgenommen.
Doch diesmal haben wir das Volk des Sturmgottes nicht erobert; der Sturmgott wurde nicht von uns besiegt, und wir wissen nicht, was seinen Platz einnehmen wird. Bey weiß es nicht. Wenn ich einen Koro-Amit nehmen muß, um diesen neuen Gott zu besänftigen, dann den wirklichen Vater des Knaben, diesen Tempus Thales. Ich muß daran glauben, daß Mutter Bey ihn zu sich nehmen wird – und wenn es vorbei ist, habe ich dich immer noch.«
Sowohl der Prinz wie Illyra erbleichten. Der Prinz aus seinen eigenen Gründen, Illyra, weil das Gesicht ihr Vashanka, Tempus und das Kind gemeinsam in einer verschlungenen gottgleichen Erscheinung zeigte.
»Molin bringt mich um, wenn er erfährt, daß nicht ich der Vater dieses kleinen Dämons bin, sondern daß Tempus ihn gezeugt hat. Und, Shu-sea, selbst wenn nur die Hälfte der Geschichten über Tempus Thales wahr sind, wird ihm, wenn du sein Herz herausgeschnitten hast, einfach ein neues nachwachsen. Lieber möchte ich, daß du mein Herz aus der Brust trennst, als mich mit dem Gedanken abfinden zu müssen, daß du an Tempus und seinen Sohn gebunden bist. Ich habe nicht geahnt, was geschehen würde, als ich Tempus schickte, um meinen Platz beim Fest des Zehntodes einzunehmen – aber ich werde jetzt nicht vor den Folgen davonlaufen!«
Illyra sah sowohl die Wahrheit von Kadakithis’ Geständnis wie auch die Massenvernichtung, die folgen würde, wenn Shupansea Tempus »nahm« – falls geduldet wurde, daß diese Vision Wirklichkeit wurde. Sie sah Bilder von Krieg und Gemetzel, aber das Gesicht zeigte ihr auch einen schmalen Silberpfad, der aus ihrer Ecke führte.
»Ich kann euch helfen«, erklärte sie, als sie in den Sonnenschein trat.
Die Beysa schrie, und der Prinz schob sie schützend hinter sich, ohne auf die erregte Schlange auf ihrem Arm zu achten. Er blickte Illyra an. Ruhig, geduldig und mit der Selbstsicherheit des Gesichts sagte sie dem Prinzen, daß sie die Halbschwester Walegrins sei, der sie damals gesucht hatte, als der Prinz ihm sein Schwert aus Enlibarstahl abnahm, um es Tempus zur Besänftigung zu schenken. (12) Kadakithis, ob er sich nun wirklich an die damalige Geschichte erinnerte
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