Sturm über Freistatt
brüllte wütend in eine schmale Gasse zwischen zwei Häusern am Rand des Freistätter Hafens.
»Und laßt euch ja nicht wieder hier blicken!« brüllte der Alte Mann noch und rollte mit dem Fuß theatralisch ein paar Steine in die Gasse. »Den letzten Halunken, den wir hier erwischten, haben wir zu Köder zerlegt. Habt ihr gehört? Wagt euch ja nicht mehr hierher!«
Jetzt war Monkel an seiner Seite und streckte den Hals, um in die Gasse spähen zu können. Sie war mit Fässern und Kisten nahezu verstopft und im dämmrigen Licht des nahenden Abends voll Schatten. Aber ein bißchen Licht war noch – trotzdem vermochte Monkel nichts Ungewöhnliches zu sehen. Keine Menschenseele, nicht einmal die geringste Bewegung bot sich seinem starren Blick. Doch eines hatte er in dieser seltsamen neuen Stadt gelernt: sich auf die Fähigkeit seines Freundes zu verlassen, wenn es darum ging, Gefahr zu wittern.
»Macht mich wütend, wenn sich solcher Abschaum in unserem Hafen herumtreibt«, brummte der Alte Mann und ging weiter. »Das ist das Problem mit Geld. Sobald man ein wenig hat, zieht es Gauner an, die es einem wegnehmen wollen.«
»Ich habe nichts gesehen. War jemand da?«
»Zwei, und bewaffnet«, antwortete der Alte Mann dumpf. »Ich kann es dir gar nicht oft genug sagen: Lern deine komischen Augen zu gebrauchen, wenn du in dieser Stadt am Leben bleiben willst.«
Monkel achtete auf die Warnung ebensowenig wie auf die gutmütige Stichelei.
»Zwei? Was hättest du getan, wenn sie nicht auf deine Worte gehört und dich angegriffen hätten?«
Etwas blitzte, als der Alte Mann den Dolch schwenkte, den seine Hand verborgen hatte. »Sie ausgeweidet und an einem Stand verkauft.« Er blinzelte und schob die Klinge in ihre Scheide am Gürtel zurück.
»Aber gleich zwei …«
Der Alte Mann zuckte die Schultern.
»Ich habe schon eine größere Übermacht gegen mich gehabt. Genau wie die meisten in dieser Stadt. Ihresgleichen sind nicht auf Kampf versessen. Außerdem sind wir doch ebenfalls zu zweit.«
Monkel wurde sich plötzlich seines eigenen Messers bewußt, das noch unberührt in seiner Scheide steckte. Der Alte Mann hatte darauf bestanden, daß er es kaufte und immer bei sich trug. Es war nicht die Art von Klinge, wie Männer sie benutzten, die mit Netzen und Angelhaken arbeiteten, sondern ein scharfes, kleines Kampfmesser, das sich rasch zwischen Rippen stechen oder auf eine angreifenden Hand hauen ließ. Auf seine Weise war es ein ebenso gutes Werkzeug wie ein Fischmesser, doch Monkel hatte es noch nie auch nur aus seiner Hülle gezogen.
Furcht überschwemmte den kleinen Beysiber, als er mit einemmal erkannte, wie nahe er daran gewesen war, in eine Messerstecherei verwickelt zu werden. Die Furcht erhöhte sich noch, denn ihm wurde klar, daß der Kampf, wäre es zu einem gekommen, vorüber gewesen wäre, noch ehe er reagiert hätte. Ob er das Ende dieses Kampfes überlebt hätte, hätte einzig und allein von der Geschicklichkeit des Alten Mannes abgehangen.
Der Alte Mann schien seine Gedanken zu lesen und legte beruhigend eine Hand auf Monkels Schulter.
»Mach dir keine Sorgen. Entscheidend ist, die Halunken zu bemerken, nicht der Kampf. Es ist wie beim Fang: Wenn man keine Ahnung hat, wo die Fische sind, kann man sie auch nicht fangen!«
»Aber wenn sie angegriffen hätten …?«
»Das tun sie, wenn man ihnen den Rücken zuwendet, aber sobald sie wissen, daß sie bemerkt worden sind, unterlassen sie es. Sie sind auf leichte Beute aus, nicht auf einen Kampf. Wenn man einen klaren Kopf behält und sich ihnen stellt, weichen sie zurück und suchen sich ein ungefährlicheres Opfer. Diebe oder Meuchler, sie sind alle gleich. Halt die Augen offen, dann kann dir nichts passieren. Dir und den Deinen.«
Monkel schüttelte den Kopf, nicht weil er anderer Meinung, sondern weil er verwirrt war. Kein Jahr seines Lebens war vergangen, ohne daß er einen Freund, einen Verwandten oder Bekannten an das Schattenreich verloren hatte. Der Tod trug viele Gesichter für jene, die für ihren Unterhalt die See herausforderten; ein plötzlicher Sturm, ein auf der Karte nicht eingetragenes Riff oder eine Sandbank, der Angriff eines Meerungeheuers, oder auch nur Unvorsicht, die zu einem Unfall führte. Das Oberhaupt des Setmur-Clans hatte das alles selbst miterlebt, noch ehe er zum Manne wurde, geschweige denn seine gegenwärtige Position erreicht hatte. Er hatte geglaubt, mit dem Schatten des Todes vertraut zu sein, der seinen Berufsstand
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