Sturm über Freistatt
oder nicht, war so von ihren S’danzokräften beeindruckt, daß er ihr Arton abnahm und sie, wie gebeten, zu Molin Fackelhalter führte.
Sie fanden ihn in der Nähe der Kinderstube, wo er den verstörten Kindermädchen Befehle erteilte. Molin blickte zuerst auf die Beysa und den Prinzen, dann auf Illyra und schließlich auf das Bündel auf Kadakithis’ Arm. Illyra sah den großen schwarzen Vogel, der sich über der Tür das Gefieder putzte, und erinnerte sich, daß sie ihn nicht nur auf dem Innenhof des Aprodisiahauses mit dem Priester gesehen hatte, sondern auch ehe sie zur Kaserne, zu ihrem Bruder rannte, der für den Priester arbeitete – und daß sie sich gezwungen hatte, die Erinnerung daran zu vergessen.
»Ihr habt gewonnen«, sagte Illyra. Es gab auch noch andere Teile dieser Vision. »Ich kann nicht zusehen, wie Freistatt zerstört wird. Ich möchte nicht mit den Augen sehen, was das Gesicht mir zeigt. Ich hätte ihn Euch eher bringen sollen. Er ist dem Tod nahe; vielleicht ist es bereits zu spät …«
»Ich hätte ihn mir nehmen können«, erinnerte Molin sie sanft. »Ich habe weder das Gesicht noch im Augenblick einen Gott, trotzdem erschien es mir nicht richtig, dem Kind da drinnen zu helfen, daß es werden kann, was es werden muß, wenn Freistatt gerettet werden soll, indem ich Euch Euren Sohn stehle. Ich mußte einfach daran glauben, daß Ihr verstehen und ihn mir aus freiem Willen bringen würdet. Wenn ich das noch glauben kann, dürfte es nicht zu spät sein. Nehmt das Kind wieder selbst auf den Arm und folgt mir.« Er drehte sich um und ließ die Tür zur Kinderstube öffnen.
Ein großes Durcheinander herrschte dort. Überall lagen zerrissene Kissen. Federn klebten an den Kindermädchen und der erschöpften Frau, die offenbar die Mutter des Kindes war und die gerade einen riesigen Bluterguß an ihrem Arm betrachtete. Das Kind funkelte die Besucher an, ließ ein halbleeres Kissen fallen und griff nach einem kurzen Holzschwert. Damit stürmte es auf Illyra zu.
»Gyskouras! Benimm dich!« rief Molin. Der Junge gehorchte, und alle anderen zuckten zusammen. Das kleine Schwert fiel klappernd auf den Boden. »So ist es besser, Gyskouras. Sieh her, das ist Illyra, die dein Weinen hörte.« Der Junge begegnete den Augen des Priesters mit einer kalten Herausforderung, wie niemand sonst sie gewagt hätte. »Sie hat ihren Sohn als Spielgefährten für dich gebracht.«
Illyra zog die Decke von Artons Gesicht und wunderte sich nicht, daß seine Augen jetzt offen waren. Sie küßte ihn und fand, daß er sie anlächelte. Dann kniete sie sich nieder und gestattete den Kindern, einander zu betrachten.
Die Augen des Kindes, dem Molin den Namen Gyskouras gegeben hatte, waren furchterregend, wenn man sich ihm Angesicht zu Angesicht gegenübersah, aber sie wurden sanfter, als Arton lächelte und das Händchen ausstreckte, um das Gesicht des anderen zu berühren. Die Gyskourem waren fort, selbst die wechselnden Bilder von Vashanka und Tempus waren verschwunden – es gab nur noch Gyskouras und Arton.
»Darf er bei mir bleiben?« fragte Gyskouras. »Meine Mutter wird sich um ihn kümmern, bis mein Vater kommt.«
Er achtete nicht auf den Prinzen, und glücklicherweise achtete Molin im Augenblick nicht auf ihn. Illyra setzte Arton, der sich bereits zappelnd aus den Decken befreite, auf den Boden und richtete sich auf, als es neue Aufregung gab: Dubro, Walegrin und ein halbes Dutzend beysibischer Wachen zwängten sich durch die Tür. Inzwischen zeigte Gyskouras jedoch Arton bereits, wie er das Schwert halten mußte. Der Schmied akzeptierte die Tatsache, daß sein Sohn jetzt hierhergehörte, auch wenn er es nicht ganz verstehen konnte. Und so leidvoll und unangenehm die Folgen auch sein mochten, waren die Dinge nun doch nicht so schlimm, wie sie hätten sein können.
Originaltitel: Gyskouras
Copyright © 1984 by Lynn Abbey
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(11) Siehe Der Tanz der Azyuna von Lynn Abbey in Geschichten aus der Diebeswelt: ›Die Götter von Freistatt‹ , Bastei-Lübbe 20098
(12) Siehe Stahl von Lynn Abbey in Geschichten aus der Diebeswelt: ›Verrat in Freistatt‹ , Bastei-Lübbe 20101
Der Alte Mann
Ein Fisch lernt fliegen
Robert Lynn Asprin
»He ihr! Zurück ins Labyrinth mit euch! Im Hafen gibt es keine leichte Beute für euch!«
Monkel, das Oberhaupt des Setmur-Clans, drehte sich erstaunt zu seinem Freund um. Noch vor einer Sekunde war der Alte Mann an seiner Seite gewesen, jetzt stand er sechs Schritte hinter ihm und
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