Sturm über Freistatt
an den Waffenschmied verkaufen und unauffällig einen Wagen erstehen. Nach Sonnenuntergang beabsichtigte er, mit ihr und den Kindern die Stadt zu verlassen. Illyra widersprach ihm nicht, sie täuschte vor weiterzuschlafen. Der Kräuterumschlag hatte geholfen, die Wunde fühlte sich kühl an. Nachdem Dubro gegangen war, schaffte sie es, sich allein anzukleiden. Dann ließ sie sich kleinere Arbeiten für den Lehrling einfallen und setzte sich auf die Bank neben der Schmiede. Ungeduldig wartete sie auf die Rückkehr ihres Mannes, während Lillis vor ihren Füßen spielte.
Sie war eingenickt, trotz des Schmerzes in der Schulter und des vormittäglichen Lärms im Basar, als ein dunkler Schatten über die Schmiede fiel. Der Sturm war auf dem Weg hierher: Dunkelheit, dann Wind und Regen. Sie plagte sich auf die Füße, und noch ehe sie hochblickte, wies sie den Lehrling an, die Holzläden zu schließen. Im Basar wurde es totenstill, als Illyra und alle anderen zum wolkenlosen Himmel schauten. Nichts war zu hören als die Schreie verstörter Vogelscharen, die Schutz vor dem drohenden Sturm suchten. Abendsterne erschienen am Horizont, dann war die weißgoldene Sonne zu sehen und eine schwarze Scheibe, die sich davorschob. Jemand schrie, daß die Sonne verschlungen würde. Der Basar und die Stadt dahinter, die in letzter Zeit mehr natürliche und unnatürliche Katastrophen hatten erdulden müssen, als sie sich zu erinnern wünschten, wurden von Panik überwältigt.
Illyra drückte Lillis an sich und starrte auf die Sonne, die zur schmalen Sichel wurde. Und dann, als es aussah, als würde sie für immer verschwinden, erschien ein blendender weißer Strahlenkranz um die schwarze Sonne. Das war zu viel – ohne zu überlegen zog Illyra Lillis und den Lehrling in die Stube, wo sie sich hinter Artons Bettchen auf den Boden kauerten. Die Dunkelheit wurde zum Sturm, der Wasser und Schlamm durch den offenen Eingang spülte. Böen hoben die Plane des Schutzdachs, schlugen sie gegen die Steine der Schmiede, dann trugen sie sie mit sich fort. Lillis und der Lehrling wimmerten vor Angst, während Illyra versuchte, ihnen ein Vorbild des Mutes und der Ruhe zu sein, obwohl sie nichts von beidem empfand.
Der Sturm hatte begonnen nachzulassen, als Illyra bewußt wurde, daß ihr Sohn laut weinte. Sie bat den Lehrling, sich um Lillis zu kümmern, und kroch zum Bettchen, um nach Arton zu sehen. Der Kleine hatte seine Decken von sich gestrampelt und schrie heftig, doch die Tränen waren immer noch so dunkel wie der Sturm. Sie schloß ihn in die Arme und wurde von etwas erfaßt, das nicht das Gesicht war und ihr doch die gierigen Gyskourem zeigte, die, vom Ehrgeiz und den Opfern von Menschen wie Zip angespornt, versuchten, sich und ihn gemeinsam zum Gyskouras des neuen Sturmgottes zu machen. Doch auch eine Spur des Gesichts war da oder zumindest von Empathie. Sie spürte die Angst ihres Sohnes und wußte, daß sie ihn aus Barmherzigkeit und Liebe töten sollte, ehe es die Gyskourem taten, doch da war noch etwas: ein Schimmer von Hoffnung, und ein Hinweis auf ein Opfer, das Hilfe bringen mochte. Ohne auf die Rufe und Schreie des Lehrlings zu achten, wand sie ein Tuch um sich und Arton und trat hinaus in den Sturm.
Der Wind trug mehr Rauch als Regen mit sich, als Illyra sich einen Weg durch die umgestürzten Wagen und Buden kämpfte. Überall war es zu Beschädigungen gekommen, dadurch achtete in dem Chaos auch niemand auf eine Frau, die sich vorsichtig mit einem Bündel auf den Armen in Richtung Basartor plagte. In der Stadt waren weniger Häuser eingestürzt, aber da und dort stieg Rauch auf. Menschenscharen rannten durch die Straßen, manche um zu helfen, andere um in dem Durcheinander zu plündern. Illyra dachte an Dubro, der sich irgendwo in dem Straßenwirrwarr befand, aber sie hatte jetzt auf ihrem Weg zum Palast keine Zeit, ihn zu suchen.
Es war keineswegs wie das letztemal, als sie kühn durch die Straßen Freistatts geeilt war. Ihr Weg war diesmal nicht mit der silbrigen Klarheit des Gesichts umsäumt, und sie konnte die Palastwachen nicht mit der Vision ihres Geschicks einschüchtern. Doch der Palast, von den Blitzen des Unwetters erhellt, war das größte Gebäude der Stadt, und die Wachen waren zu sehr damit beschäftigt, Höflinge zu beruhigen und Plünderer festzunehmen, als auf sie zu achten.
Im Palast hastete Illyra an aufgeregten, verängstigten Höflingen vorbei, auf der Suche nach etwas, das sie nicht hätte zu nennen
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