Sturm über Hatton Manor
als er die Träger verknotete und dabei ihre Haut streifte, verspürte Faith ein gefährliches Prickeln. Sie war sich seiner Nähe zu deutlich bewusst. Ihr Herz klopfte vor Angst und Schmerz schneller, und ihre innere Anspannung wuchs mit jedem Donnergrollen.
Was war, wenn Nash jetzt den Kopf neigte und sie zärtlich auf die Schulter küsste, bevor er sie langsam zu sich herumdrehte? Heiße Wellen der Erregung durchfluteten ihren Schoß, und ihre Knospen wurden fest. Wäre die Situation zwischen ihnen anders gewesen, hätte
sie
sich dann zu ihm umgedreht und ihn verführerisch angelächelt, damit er sie küsste, berührte … mit ihr schlief?
Warum hegte sie derartige Gedanken? Hatte Mrs. Jensons Bemerkung ihr mehr zugesetzt, als sie angenommen hatte? Meinte sie, etwas beweisen zu müssen, weil sie sich nicht als vollwertige Frau fühlte?
“So, fertig.”
“Danke”, erwiderte Faith kurz angebunden. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Warum berührte Nash sie immer noch? Sie spürte seinen Atem im Nacken, so warm, so nah, dass es ihr fast schien, als würde er ihr einen Kuss darauf hauchen. Verzweifelt versuchte sie, sich ins Gedächtnis zu rufen, wie Nash und sie zueinander standen. Falls sie tatsächlich etwas beweisen musste, dann wohl vielmehr, dass sie nichts für ihn empfand.
Mittlerweile war es so drückend, dass sogar das Summen der Bienen verstummt war.
“Hast du es Ferndown schon erzählt?”
Er hatte sie losgelassen, und automatisch wirbelte sie zu ihm herum.
“Falls du damit meinst, ob ich ihm von … von unserer Hochzeit erzählt habe … Nein, das habe ich nicht.”
“Faith …”, begann er, verstummte allerdings, als es erneut donnerte und sie zusammenzuckte.
“Lass uns lieber reingehen. Wenn wir Glück haben, zieht das Gewitter vorbei”, sagte er, während sie ins Haus eilten. “Mein Anwalt kommt nachher, um etwas mit mir zu besprechen. Sonst …” Erneut verstummte er und presste grimmig die Lippen zusammen.
Sonst was?, fragte er sich spöttisch. Sonst wäre er bei ihr geblieben, um sie in den Armen zu halten und zu beschützen?
Als Faith die Hand hob, um die Haustür zu öffnen, funkelte der Solitär an ihrem Verlobungsring. Er hatte ihn bei Tiffany’s bestellt, und er hatte gelogen, als er behauptete, es würde die Ringe nur paarweise geben.
Sobald sie im Haus war, ließ ihre Angst etwas nach. Sie konnte den Donner nicht hören. Zum Glück war das Gewitter noch weit weg.
Faith sprang nervös aus dem Sessel auf, als sie das unverkennbare Donnergrollen hörte. Es war zehn Uhr abends, und sie war allein im Haus und sah fern – oder versuchte es zumindest, um nicht an das Unwetter denken zu müssen. Der Wettervorhersage zufolge sollte das Gewitter vorbeiziehen, aber momentan sah es nicht danach aus.
Nash war mit seinem Anwalt weggefahren, um mit ihm in einem Restaurant zu Abend zu essen. Er hatte sie ebenfalls eingeladen, doch sie hatte natürlich abgelehnt. Sie hatte den neugierigen Ausdruck in den Augen des älteren Mannes bemerkt, als Nash sie ihm als seine Frau vorstellte.
Warum hatte er das getan? Sie war sich so schäbig vorgekommen, als der Anwalt ihr gratulierte. Sein verstorbener Cousin war Philips Anwalt gewesen, wie er ihr mitgeteilt hatte. Und daher wusste er selbstverständlich von Philips Nachlass.
Wieder durchbrach lautes Donnern die Stille. Faith eilte zum Fenster und zog die Gardinen zurück. Draußen war es fast dunkel, und während sie besorgt in den Himmel blickte, zuckte ein greller Blitz darüber. Sie wusste, dass das Gewitter weit entfernt war und sie sich nicht fürchten musste. Es würde vorüberziehen. Trotzdem wünschte sie, es würde nicht mehr lange dauern.
Als Kind war sie einmal in ein heftiges Gewitter geraten, und sie nahm an, dass es die Ursache für ihre beinah krankhafte Angst vor Donner war. Ihr Bedürfnis, sich irgendwo zu verkriechen, war völlig irrational, wie Faith sich sagte, während sie sich zwang, vom Fenster wegzugehen und sich wieder in den Sessel zu setzen. Wenn sie den Fernseher laut genug stellte, würde sie das Donnern nicht hören …
Eine halbe Stunde später stellte Faith allerdings fest, dass das Gewitter nicht vorbeizog, sondern immer näher kam.
In dem Restaurant in Oxford, in das er seinen Anwalt eingeladen hatte, unterbrach Nash diesen in seinen Erinnerungen an Philip.
“Tut mir leid”, entschuldigte er sich, “aber ich muss los. Faith hat Angst vor Gewitter, und dieses Unwetter scheint entgegen der
Weitere Kostenlose Bücher