Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
Vom Netzwerk:
Hütten oder sonst wie geartete Unterkünfte zu errichten, die sie sich aus allen möglichen weggeworfenen Materialien zusammenschusterten. Leider wurde diese behelfsmäßige Ansiedlung bei jedem kräftigen Nordwind, besonders während des regnerischen Winters, völlig durcheinandergewirbelt.
    Wie zum Hohn war der Bezirk, der sich südwestlich direkt oberhalb des Mobilen Viertels erstreckte, die Savrola, eine teure Enklave für Exilanten, in der sich wohlhabende Ausländer, die mit dem Geld nur so um sich warfen, niedergelassen hatten. Dort befanden sich die besten Gasthöfe, einschließlich der Herberge, in der sich Locke und Jean unter ihren falschen Namen einquartiert hatten. Hohe Steinmauern trennten die Savrola vom Mobilen Viertel, und Patrouillen von Verrari-Konstablern und privat angeheuerten Söldnern sorgten für den Schutz ihrer Bewohner. Tagsüber fungierte die Große Galerie als Marktplatz von Tal Verrar. Unter ihrem Dach bauten jeden Morgen tausend Händler ihre Stände auf, und der Platz hätte noch für fünftausend mehr gereicht, sollte die Stadt jemals zu dieser Größe anwachsen. Besucher, die in der Savrola logierten und nicht per Boot reisten, wurden auf diese raffinierte Weise gezwungen, den gesamten Markt entlang zu laufen, wenn sie die Goldene Treppe hinauf oder hinunter wollten.
    Der Wind blies aus Osten, fegte vom Festland kommend über die gläsernen Inseln und in die Galerie hinein. Lockes und Jeans Schritte hallten in der weiten, dunklen Leere; an einigen der Glassäulen hingen matt schimmernde Lampen und bildeten winzige, ungleichmäßige Oasen aus Licht. Abfälle wirbelten an ihren Füßen vorbei, und ab und an trieben Rauchschwaden von unsichtbaren Holzfeuern durch die Luft. Einige der Markthändler, deren Stände besonders dazu angetan waren, unliebsame Gäste anzulocken, ließen Familienmitglieder in diesen Buden übernachten … und dann gab es natürlich immer irgendwelche Vagabunden aus dem Mobilen Viertel, die in den schattigen Winkeln der Galerie ein bisschen Privatsphäre suchten. Mehrere Male pro Nacht marschierten Patrouillen durch die verschiedenen Ebenen der Galerie, doch zurzeit war keine zu sehen.
    »In was für eine seltsame Ödnis sich dieser Ort nach Einbruch der Dunkelheit verwandelt«, sinnierte Jean. »Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich ihn hassen oder mich von ihm verzaubern lassen soll.«
    »Diese Entscheidung fiele dir sicher leichter, wenn du nicht deine beiden Äxte hinten in deinem Rock stecken hättest. Denn dann könntest du wohl kaum etwas Zauberhaftes an dieser trostlosen Gegend entdecken.« »Mmm.«
    Ein paar Minuten lang spazierten sie schweigend weiter. Locke rieb sich den Bauch und brummelte vor sich hin: »Sag mal, Jean – bist du zufällig hungrig?« »Ich habe immer Hunger. Brauchst du was in den Magen, um den Alkohol besser zu verarbeiten?«
    »Es wäre bestimmt keine schlechte Idee, was zwischen die Zähne zu kriegen. Das verfluchte Karussell. Noch ein Drink, und ich hätte diesem dreimal verdammten qualmenden Drachen einen Heiratsantrag gemacht. Oder ich wäre einfach vom Stuhl gefallen.«
    »Tja, dann lass uns mal über den Nachtmarkt bummeln.«
    Auf der obersten Stufe der Großen Galerie, im Nordosten des überdachten Geländes, erkannte Locke die flackernden Lichter von Feuerfässern und Laternen, in deren Schein schemenhafte Gestalten herumhuschten. Handel und Wirtschaft kamen in Tal Verrar niemals wirklich zum Stillstand; wenn die Leute zu Tausenden die Goldene Treppe hinauf- oder hinabstiegen, kursierte immer noch genug Geld, um ein paar Dutzend Verkäufer zu verleiten, jeden Abend nach Sonnenuntergang ihre Stände an einem strategisch günstigen Punkt aufzustellen. Der Nachtmarkt war eine äußerst praktische und bequeme Einrichtung, auf jeden Fall war er wesentlich exotischer als der Markt bei Tage.
    Während Locke und Jean auf den Bazar zu schlenderten, wobei die nächtliche Brise ihnen ins Gesicht blies, hatten sie einen unverstellten Blick auf den inneren Hafen mit seinem dunklen Wald aus Schiffsmasten. Dahinter lagen die restlichen Inseln der Stadt vernünftigerweise im Schlaf, nur hier und da sah man eingesprenkelt ein Licht anstatt des auffälligen Strahlens der Goldenen Treppe. Im Herzen der Stadt krümmten sich die drei halbmondförmigen Inseln der Großen Gilden (Alchemisten, Kunsthandwerker und Händler) wie schlafende Tiere um den Sockel der hohen, felsigen Castellana. Und auf der Spitze der Castellana, gleich einem

Weitere Kostenlose Bücher