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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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Steinhügel, der sich drohend über einem Feld aus Villen auftürmt, sah man den verschwommenen Umriss des Mon Magisteria, der Festung des Archonten.
    Offiziell wurde Tal Verrar von den Priori regiert, doch in Wirklichkeit lag ein großer Teil der Macht bei dem Mann, der in diesem Palast residierte, dem Profos der Stadt. Das Amt des Archonten war ursprünglich nach Tal Verrars Niederlage im Tausend Tage-Krieg gegen Camorr eingerichtet worden. Der Archont sollte das Kommando über das Heer und die Marine übernehmen, das bisher in den Händen der untereinander zerstrittenen Kaufleute lag, die sich zu Räten zusammengeschlossen hat ten.
    Aber das Problem mit einmal eingesetzten, vorläufigen Militärdiktatoren ist, dachte Locke, dass man sie nie wieder los wird, selbst wenn die unmittelbare Krise ein Ende gefunden hat und man sie nicht mehr benötigt. Der erste Archont hatte das Angebot, sich zur Ruhe zu setzen, »abgelehnt«, und sein Nachfolger mischte sich sogar noch eifriger in die städtischen Angelegenheiten ein. Bis auf die gut bewachten und vom Rest der Metropole abgeschotteten Bastionen der Frivolität wie der Goldenen Treppe und Exilanten-Paradiesen wie der Savrola, hielten die Unstimmigkeiten zwischen dem Archonten und den Priori die Stadt in Atem.
    »Herrschaften!«, rief eine Stimme zu ihrer Linken, wodurch Locke aus seinen Grübeleien gerissen wurde. »Verehrte Herren! Bei einem Spaziergang über die Große Galerie darf eine Erfrischung nicht fehlen!« Locke und Jean hatten die Ausläufer des Nachtmarktes erreicht; außer ihnen waren keine Kunden zu sehen, und die Gesichter von mindestens einem Dutzend Händler starrten sie aus ihren kleinen Kreisen aus Feuer- oder Lampenschein an.
    Der erste Verrari, der ihr gesundes Urteilsvermögen strapazierte, war ein in die Jahre gekommener einarmiger Mann mit langem weißem Haar, das ihm in einem geflochtenen Zopf bis zur Taille hing. Er schwenkte eine hölzerne Schöpfkelle in ihre Richtung und zeigte auf vier kleine Fässchen, die auf einem tragbaren Tresen standen, der an eine Schubkarre mit flacher Ladefläche erinnerte.
    »Was hast du denn anzubieten?«, fragte Locke.
    »Delikatessen von der Tafel des Iono höchstselbst, das Köstlichste, was das Meer überhaupt nur auftischen kann. Haifischaugen in Salzlake, fangfrisch. Außen kross, innen weich, und von erlesener Süße.«
    »Haifischaugen? Bei den Göttern, nein!« Locke schnitt eine Grimasse. »Hast du nichts Gewöhnlicheres? Wie Leber oder Kiemen? Auf eine Kiemenpastete hätte ich jetzt Appetit.«
    »Kiemen? Mein Herr, Kiemen besitzen nicht die wohltuenden Wirkungen wie Augen; von den Augen kriegt man stramme Muskeln, sie verhindern, dass man sich mit Cholera ansteckt, und kräftigen gewisse Teile eines Mannes, damit er seine … äh … ehelichen Pflichten besser erfüllen kann.«
    »In dieser Hinsicht bedarf es bei mir keiner Kräftigung«, erwiderte Locke. »Und im Augenblick ist mein Magen zu verstimmt, um Haifischaugen zu verkraften.«
    »Wie bedauerlich, Herr. Ich würde Ihnen gern ein Gericht aus Kiemen anbieten, doch außer den Augen habe ich nichts zu offerieren. Allerdings stammen die von unterschiedlichen Haiarten – Sichelhai, Wolfshai, Blauer Witwer …«
    »Tut uns leid, aber wir müssen passen, mein Freund«, beschied ihm Jean, als er und Locke weitergingen.
    »Obst gefällig, werte Herren?« Als Nächstes sprach sie eine schlanke junge Frau an, die beinahe in einem schlichten, cremefarbenen Gehrock verschwand, der ihr mehrere Nummern zu groß war; auf dem Kopf trug sie einen viereckigen Hut, von dem an einer Kette eine kleine alchemische Kugel baumelte, die bis zu ihrer linken Schulter herabhing. Sie bewachte eine Anzahl geflochtener Körbe. »Alchemisches Obst, frische Hybriden. Kennen Sie die Sofia-Orange von Camorr? Sie erzeugt ihren eigenen Likör, sehr süß und hochprozentig.«
    »Wir … haben davon gehört«, antwortete Locke. »Und nach etwas Alkoholhaltigem steht mir nicht der Sinn. Hast du vielleicht etwas gegen Übelkeit und Magenbeschwerden?«
    Sie nahm einen Korb, der ungefähr bis zur Hälfte gefüllt war, und hielt ihn Locke hin.
    Locke prüfte die Birnen, die sich glatt und knackig anfühlten, und holte drei heraus.
    »Fünf Centira«, verlangte die Obstverkäuferin.
    »Einen ganzen Volani?« Locke heuchelte Empörung. »Nicht mal wenn die Lieblingshure des Archonten sie zwischen ihre Beine steckte und mit dem Hintern wackelte. Selbst ein Centira wäre zu viel für drei

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