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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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Festland«, erwiderte der Händler. »Und sie dienen in erster Linie der … äh …Entspannung.«
    »Der Entspannung? Sind es Haustiere?«
    »Eigentlich nicht. Ihr Stich, wissen Sie – der Stich des grauen Felsenskorpions hat es in sich. Zuerst tut es weh, man spürt einen scharfen, brennenden Schmerz, wie nicht anders zu erwarten. Doch nach ein paar Minuten tritt ein angenehmes Gefühl der Taubheit ein, eine Art Fieber, die den Betroffenen in einen Traumzustand versetzt. Eine ähnliche Wirkung wie bei diesen Pulvern, die die Jeremiten rauchen. Nach ein paar Stichen gewöhnt sich der Körper ein wenig an das Gift. Der Schmerz wird geringer, und die Träume werden tiefer und intensiver.« »Erstaunlich!«
    »Etwas Alltägliches«, widersprach der Mann. »Viele Männer und Frauen in Tal Verrar halten sich eines dieser Tiere zur schnellen Verfügung, auch wenn sie in der Öffentlichkeit nicht darüber sprechen. Wenn man sich von einem Skorpion stechen lässt, fühlt man sich wie in einem Alkoholrausch, nur ist dieses Vergnügen wesentlich billiger zu haben.«
    »Hmm!« Locke kratzte sich das Kinn. »Aber eine Flasche Wein hat wenigstens keinen Stachel, mit dem ich mich zuerst stechen muss, damit ich die gewünschte Entspannung finde. Und ist das nicht irgendein Trick? Eine Masche, um ahnungslose Touristen reinzulegen?«
    Das Lächeln des Händlers wurde breiter. Er streckte den rechten Arm aus und streifte den Ärmel des Mantels zurück; die dunkle Haut seines dürren Unterarms war mit kleinen runden Narben übersät. »Ich würde niemals ein Produkt anbieten, für dessen Qualität ich mich nicht verbürgen könnte.«
    »Erstaunlich«, sagte Locke noch einmal. »Und überaus faszinierend, aber … vielleicht gibt es in Tal Verrar ein paar Sitten und Gebräuche, die man nicht unbedingt ausprobieren sollte.«
    »Man sollte tatsächlich seinem Geschmack treu bleiben.« Immer noch lächelnd, zog der Mann den Ärmel wieder herunter und faltete die Hände vor dem Bauch. »Einem Skorpionf alken konnten Sie ja auch nichts abgewinnen, Meister Lamora.« Plötzlich spürte Locke einen kalten Druck in seiner Brust. Er warf Jean einen Blick zu und merkte, dass sein massiger Freund plötzlich ebenfalls angespannt wirkte. Nach außen hin Gelassenheit mimend, räusperte sich Locke und fragte: »Entschuldigung, ich fürchte, ich habe dich nicht richtig verstanden.«
    »Ich bitte um Verzeihung, wenn ich undeutlich gesprochen habe.« Arglos blinzelte der Verkäufer ihn an. »Aber ich habe den Herren nur eine gute Nacht gewünscht.« »Richtig.« Locke musterte ihn noch ein Weilchen, dann trat er zurück, machte auf dem Absatz kehrt und setzte den Weg über den Nachtmarkt fort. Sofort war Jean an seiner Seite.
    »Hast du das gehört?«, flüsterte Locke.
    »Klar und deutlich«, bestätigte Jean. »Ich frage mich, für wen unser freundlicher Skorpionhändler arbeitet.«
    »Es ist nicht nur er«, murmelte Locke. »Die Obstverkäuferin nannte mich auch ›Lamora‹. Du hast das nicht mitgekriegt, aber ich schon.«
    »Mist! Sollen wir zurückgehen und uns einen von denen schnappen?«
    »Wohin des Wegs, Meister Lamora?«
    Locke wirbelte herum und wäre um ein Haar mit der Händlerin, einer Frau in mittleren Jahren, zusammengeprallt, die sich ihnen von rechts näherte; er musste sich beherrschen, um nicht reflexartig das sechs Zoll lange Stilett, das sich in seinem rechten Rockärmel befand, in seine Hand gleiten zu lassen. Jean fasste unter seine Jacke, wo er im Rückenteil seine beiden Äxte, die »Bösen Schwestern«, verborgen hatte.
    »Du scheinst mich mit jemandem zu verwechseln, gute Frau«, erwiderte Locke. »Mein Name ist Leocanto Kosta.«
    Die Frau machte keine Anstalten, sich ihnen noch weiter zu nähern; sie lächelte nur und gluckste stillvergnügt in sich hinein. »Lamora … Locke Lamora.«
    »Jean Tannen«, fiel der Skorpionverkäufer ein, der hinter seinem kleinen, mit Käfigen vollgestellten Tisch hervorgetreten war. Langsam rückten noch mehr Händler heran und fixierten Locke und Jean mit starren Blicken.
    »Offenbar gibt es hier irgendein … äh … Missverständnis«, meinte Jean. Er zog seine Rechte wieder unter der Jacke hervor; aus langer Erfahrung wusste Locke, dass die Klinge einer Axt in seiner Faust ruhte, während der Stiel im Ärmel steckte.
    »Nein, es ist kein Missverständnis«, widersprach der Skorpionhändler.
    »Der Dorn von Camorr …«, piepste ein kleines Mädchen, das sich nun vor ihnen aufpflanzte, um

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