Sturm ueber roten Wassern
danach trachtete, dies zu verhindern, wäre er auf sich allein gestellt und würde nicht nur die Position seines Vaters schwächen, sondern auch seine eigenen Zukunftschancen schmälern.
»Ich denke, für den Anfang sollte man sie für ihre Bemühungen mit einer recht ansehnlichen Summe entlohnen«, erklärte Requin fröhlich. »Natürlich muss man ihr gestatten, die staatlichen Verkehrsmittel wie Kutschen und Boote zu benutzen. Sie braucht eine offizielle Residenz; Stragos standen Dutzende von Häusern und Villen zur Verfügung. Oh, und ihr Büro im Mon Magisteria sollte das schönste und prächtigste in der gesamten Anlage sein. Finden Sie nicht auch?«
Nachdem sich die Priori in verschiedenen Stadien von Verwirrung, Sorge und Empörung entfernt hatten und Requin wieder mit Selendri in seinem Büro allein war, küssten sie sich innig. Wie immer zog Requin auch jetzt wieder seine Handschuhe aus und streichelte sie mit seinen verunstalteten, zerklüfteten Händen; er liebkoste sowohl das vernarbte Gewebe an ihrer linken Körperhälfte als auch die gesunde Haut.
»Das hätten wir geschafft, mein Liebling«, sagte er zärtlich. »Ich habe gemerkt, dass es dir schon seit geraumer Zeit nicht mehr passt, hier zu arbeiten. Ständig musst du die vielen Treppen rauf und runter laufen, und dann auch noch freundlich sein zu diesen Säufern aus der Oberschicht.«
»Es wurmt mich immer noch, dass ich …«
»Wir haben beide einen Fehler gemacht«, erklärte Requin. »Ich bin sogar noch mehr auf Kostas und de Ferras Schliche reingefallen als du – während ich geneigt war, ihnen zu glauben, hast du dir deine Skepsis die ganze Zeit über bewahrt. Wenn ich von vornherein dir die Entscheidung überlassen hätte, wären sie sofort aus dem Fenster geflogen, und wir hätten unsere Ruhe gehabt, davon bin ich fest überzeugt.«
Sie lächelte.
»Und diese dämlich grinsenden Priori glauben, ich würde dir ein gemütliches, gut dotiertes Pöstchen verschaffen, wo du dich so richtig ausruhen kannst.« Er fuhr mit den Fingern durch ihr Haar. »Götter, werden die sich noch wundern! Du wirst etwas aufbauen, das meine kleinen Gangs von felantozzi wie Kaffeekränzchen aussehen lässt.«
Selendri sah sich vielsagend in dem zerstörten Büro um. Requin lachte. »Eigentlich bewundere ich diese frechen kleinen Ganoven. Zwei Jahre lang so ein Ding zu planen, dann der Trick mit den Stühlen … und mein Siegel! Meine Güte, Lyonis hat einen regelrechten Anfall gekriegt …«
»Ich dachte, du seist wütend«, bemerkte Selendri überrascht. »Wütend? Doch, ja, das war ich. Diese Stühle haben mir sehr gut gefallen.« »Ich weiß doch, wie lange du gebraucht hast, um diese Sammlung zusammenzutragen …«
»Ah, die Gemälde, natürlich.« Requin grinste schadenfroh. »Nun ja … die Wände sehen jetzt etwas kahl aus. Hast du Lust, mit mir nach unten in den Tresor zu gehen und die Originale herauszusuchen?« »Was soll das heißen, die Originale?«
EPILOG
Sturm über Roten Wassern
1
»Was zur Hölle soll das heißen, Reproduktionen?«
Locke saß auf einem bequemen, hochlehnigen Stuhl im Büro von Acastus Krell, Kunsthändler in Vel Virazzo. Er legte seine zitternden Hände um das schmale Glas mit lauwarmem Tee, um nichts zu verschütten.
»Diesen Ausdruck müssen Sie doch kennen, Meister Fehrwight«, erwiderte Krell. Der alte Mann hätte einem Stock geglichen, wenn er sich nicht so anmutig bewegt hätte; wie ein Tänzer glitt er durch den Raum und handhabte seine Vergrößerungsgläser wie ein Duellant, der eine Kampfpose einnimmt. Er trug ein weites Gewand aus blaugrauer Seide mit Brokatmuster, und als er nun den Kopf hob, unterstrich der haarlose, glänzende Schädel seinen geradezu unheimlich anmutenden, starren Blick. Dieses Büro war Krells Refugium, der Mittelpunkt seiner Existenz. Es verlieh ihm eine Aura von Gelassenheit und Autorität.
»Allerdings«, räumte Locke ein. »Im Zusammenhang mit Möbelstücken habe ich davon gehört, aber in Bezug auf Gemälde …«
»Von Gemälden werden weniger Kopien hergestellt als von Möbeln, das ist richtig, aber ich hege nicht den geringsten Zweifel. Ich habe die Originale dieser zehn Bilder zwar nie gesehen, meine Herren, aber es gibt gravierende Unstimmigkeiten bei den Pigmenten, der Pinselführung und der generellen Alterung der Oberfläche. Diese Bilder stammen keinesfalls aus der Epoche des Talathri-Barock.«
Jean nahm die Eröffnung mit düsterer Miene auf, schweigend,
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