Sturm ueber roten Wassern
Chips in den Pot. »Ein unverhoffter Glücksfall.«
Alle Augen richteten sich erwartungsvoll auf Madam Corvaleur, die eine Kirsche in Schokoladenpulver aus ihrem schwindenden Vorrat pflückte, sich in den Mund steckte und dann rasch ihre Finger ablutschte. »Oh-ho!«, entfuhr es ihr, während sie auf ihr Blatt starrte und mit klebrigen Fingern auf die Tischplatte trommelte. »Oh … ho … oh …
Mara, das ist … das merkwürdigste …«
Dann kippte sie vornüber und landete mit dem Kopf auf dem großen Berg Spielmarken, die vor ihr auf dem Tisch lagen. Die Karten flatterten ihr aus der Hand, mit der Vorderseite nach oben; mit unkoordinierten Bewegungen tastete sie danach, in dem Versuch, sie mit der Hand zu verdecken.
»Izmila«, rief Madam Durenna leicht erschrocken. »Izmila!« Sie packte die massigen Schultern ihrer Partnerin und fing an, sie zu schütteln.
»’zmila«, wiederholte Madam Corvaleur mit schläfriger, blubbernder Stimme. Ihr Mund klappte auf, und mit Schokolade und Kirschen vermischter Speichel tropfte auf ihre Fünf-Solari-Chips. »Mmmmmmilllaaaaaaa. Seeehr … merkwürdig … wirklich, seeeehr … merkwürdisch …«
»Madam Corvaleur ist am Zug.« Der Croupier konnte seine Verblüffung nicht ganz verbergen. »Madam Corvaleur muss ihre Ansage machen.«
»Izmila! Reiß dich zusammen«, zischte Madam Durenna ärgerlich.
»Da sind … Karten …«, lallte Corvaleur. »Schau nur, Mara … sooo … viele … Karten.
Aufm Tisch.«
Danach lallte sie: »Blammel … na … fla … gah.«
Dann war sie endgültig weggetreten.
»Das Spiel ist zu Ende«, verkündete der Croupier nach ein paar Sekunden. Mit seinem Rateau holte er Madam Durennas sämtliche Chips zu sich und zählte sie. Locke und Jean gehörten nun sämtliche Spielmarken auf dem Tisch. Anstatt tausend Solari zu verlieren, hatten sie jetzt diesen Betrag gewonnen, und Locke stieß einen Seufzer der Erleichterung aus .
Der Croupier betrachtete Madam Corvaleur, die ihre hölzernen Chips als Kopfkissen benutzte, und hustete hinter vorgehaltener Hand.
»Meine Herren«, sagte er, »das Haus wird Ihnen die – äh -benutzten Chips durch neue Spielmarken im entsprechenden Wert ersetzen.«
»Natürlich«, erwiderte Jean und tätschelte sanft den kleinen Berg von Durennas Marken, der sich plötzlich vor ihm anhäufte. Locke hörte, wie sich in der Menge hinter ihnen Bestürzung, Ratlosigkeit und Betroffenheit breitmachten. Einige der toleranteren Zuschauer setzten schließlich zu einem leichten Applaus an, der jedoch nicht von langer Dauer war. Ganz allgemein war man eher peinlich berührt als schadenfroh, dass sich eine derart bemerkenswerte Frau wie Madam Corvaleur nach lediglich sechs Drinks im Vollrausch befand.
»Hmmmph«, brummte Madam Durenna, drückte ihre Zigarre in dem goldenen Aschenbecher aus und erhob sich von ihrem Platz. Betont umständlich und mit viel Aufhebens richtete sie ihr Jackett; es bestand aus schwarzem Brokatsamt, war verziert mit Platinknöpfen und Applikationen aus Silber und musste ein kleines Vermögen gekostet haben. »Meister Kosta, Meister de Ferra … uns bleibt wohl nichts anderes übrig als zuzugeben, dass Sie uns geschlagen haben.«
»Aber nur durch eine Laune des Glücks«, erwiderte Locke, setzte ein gekünsteltes Lächeln auf und klaubte krampfhaft nach den letzten Resten seines Verstandes. »Es hätte nicht viel gefehlt, und Sie hätten uns … nun ja … unter den Tisch getrunken.«
»Die ganze Welt dreht sich um uns«, ergänzte Jean, dessen Hände so ruhig waren wie die eines Juweliers und der den ganzen Abend lang durch nichts verraten hatte, dass der genossene Alkohol irgendeine Wirkung auf ihn ausübte.
»Meine Herren, ich habe Ihre anregende Gesellschaft sehr genossen«, fuhr Madam Durenna in einem Ton fort, der zu erkennen gab, dass genau das Gegenteil der Fall war. »Darf ich ein weiteres Spiel vorschlagen, Ende der Woche vielleicht? Sicherlich werden Sie uns eine Revanche gewähren – das ist eine Frage der Ehre!«
»Nichts würde uns mehr freuen, als noch einmal mit Ihnen und Ihrer überaus reizenden Partnerin Schwips-Vabanque zu spielen«, bekräftigte Jean. Zu seiner Unterstützung fing Locke inbrünstig an zu nicken, wobei der Inhalt seines Schädels höllisch zu schmerzen begann. In einer kühlen Geste streckte Durenna ihnen die Hand entgegen und erlaubte es den beiden, einen angedeuteten Kuss darauf zu hauchen. Als wollten sie einer außergewöhnlich reizbaren Schlange
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