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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Lynch
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einem roten Samtläufer bedeckt war. Die ganze Stadt wusste, dass dieser Teppich nur eine einzige Nacht lang benutzt und danach durch einen neuen ersetzt wurde. Als Folge davon fand man in Tal Verrar ganze Heerscharen von Bettlern, die gewohnheitsmäßig auf Haufen von roten Samtfetzen schliefen. Die Aussicht, die sich ihnen darbot, war schier atemberaubend; zu ihrer Rechten erstreckte sich hinter den Silhouetten anderer Kasinos der gesamte sichelförmig geschwungene Bogen der Insel. Im Gegensatz zu dem Schein, der wie eine Art Aura von der Goldenen Treppe ausging, lag der Norden in relativer Dunkelheit. Hinter der Stadt, im Süden, Westen und Norden, funkelte das Messing-Meer in einem phosphoreszierenden silbernen Schimmer, beleuchtet von drei Monden, die von einem wolkenlosen Himmel herabstrahlten. Hier und da waren in das Gemälde aus Quecksilber die geisterhaft blassen Segel ferner Schiffe eingesprenkelt. Locke konnte nach links hinunterschauen und über die gestaffelten Dächer der fünf unteren Terrassen der Inseln hinwegsehen, ein Anblick, bei dem ihm trotz des festen Steinbodens unter seinen Füßen schwindelig wurde. Rings um ihn her plätscherte das Stimmengewirr sich amüsierender Menschen, durchsetzt vom Geklapper der Pferdedroschken, die über das Kopfsteinpflaster holperten. Mindestens ein Dutzend Kutschen rollte oder wartete längs der geraden Straße, die sich über die sechste Ebene der Insel zog. Alles überragend, stürmte der Sündenturm in die schillernde Dunkelheit, mit hell strahlenden alchemischen Laternen, einer Kerze gleich, die darauf abzielt, die Aufmerksamkeit der Götter zu erregen. »Und nun, mein lieber Berufspessimist«, erklärte Locke, während sie sich vom Sündenturm entfernten und die Menge hinter sich ließen, »mein Bedenkenträger, mein nie versiegender Quell des Zweifels und des Spottes … was hast du dazu zu sag en?« »Eigentlich nur sehr wenig, Meister Kosta. Ich bin derart überwältigt vom Ergebnis deines genialen Planes, dass mir das Denken schwerfällt.« »Das klingt verdächtig nach Sarkasmus.«
    »Die Götter sind meine Zeugen, dass dem keinesfalls so ist! Du kränkst mich!«, lamentierte Jean. »Deine ausgeprägten kriminellen Tugenden haben wieder einmal obsiegt, mit derselben unabwendbaren Regelmäßigkeit wie die Gezeiten. Ich werfe mich dir zu Füßen und bitte um Absolution. Dein brillanter Geist bringt das Herz der Welt zum Schlagen.« »Und jetzt bist du …«
    »Nur schade, dass kein Aussätziger in der Nähe ist«, schnitt Jean ihm das Wort ab. »Dann könntest du ihn durch Handauflegen heilen und beweisen, dass noch Zeichen und Wunder geschehen …«
    »Diesen geistigen Dünnschiss gibst du nur von dir, weil du neidisch bist!« »Das ist sehr gut möglich«, räumte Jean ein. »Wir sind um eine beträchtliche Summe reicher, wurden nicht geschnappt und infolgedessen nicht umgebracht. Im Gegenteil, wir konnten unseren Ruhm mehren und eine Einladung in die sechste Etage ergattern. Ich gebe zu, dass ich falsch lag, als ich dir sagte, ich fände deinen Plan blöd.«
    »Wirklich? Na so was!« Während Locke sprach, fasste er unter seinen Rockaufschlag. »Komisch, denn objektiv gesehen, war es ein dummer Plan. Verflucht riskant. Noch ein Drink, und ich wäre erledigt gewesen. Offen gestanden bin ich ziemlich überrascht, dass es geklappt hat.«
    Ein paar Sekunden lang fummelte er unter dem Revers herum, dann zog er ein kleines, daumenlanges Polster aus Wolle hervor. Als Locke das winzige Kissen in eine Außentasche seines Rocks steckte, entwich aus der Wolle ein Staubwölkchen. Im Weitergehen wischte er sich die Hände gründlich an den Ärmeln ab. »›Fast verloren‹ ist nur ein anderer Ausdruck für ›knapp gewonnen‹«, meinte Jean. »Trotzdem hätte der Alkohol mich beinahe geschafft. Das nächste Mal, wenn ich meine Fähigkeiten wieder überschätze, korrigierst du mich mit einem Axthieb auf den Schädel.«
    »Ich werde mir eine Freude daraus machen, dich mit zwei Axthieben zu korrigieren.« Madam Izmila Corvaleur hatte diesen Plan erst möglich gemacht. Wenige Wochen zuvor war sie »Leocanto Kosta« zum ersten Mal an einem Spieltisch begegnet, und dabei war Locke aufgefallen, dass sie beim Spielen dauernd mit den Fingern aß, um ihre Gegner zu ärgern.
    Mit den gängigen Tricks konnte man beim Schwips-Vabanque nicht betrügen. Keiner von Requins Croupiers hätte sich jemals dazu hinreißen lassen, beim Mogeln zu helfen, nicht einmal, wenn man ihm als

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