Sturm über Sylt
ist, Champagner zu trinken ...«
Anton Heussner war hinter Aletta getreten, seinen speckigen Zylinder drehte er in den Händen, dieser proletarische Frohsinn, der durch den Champagner noch proletarischer wurde, war anscheinend etwas, womit er nicht umgehen konnte.
»Ein Glas für die große Sängerin!«, rief Schubert, angelte ohne viele Umstände ein Glas vom Spülstein, zog den Korken wieder aus der Flasche und goss ein. »Der Herr auch?«, fragte er und sah Anton Heussner an, als lohnte es sich nicht, für ihn eigens um ein Glas zu bitten.
Aletta entschloss sich zu eiskalter Höflichkeit und wandte sichan ihre Schwester. »Darf ich dir Anton Heussner vorstellen?« Sie machte einen Schritt zur Seite und gab damit den Blick auf Heussner frei. »Der Dirigent der Hamburger Staatsoper. Zurzeit auch Intendant und ...« Sie sah ihn fragend an.
»... Mädchen für alles«, ergänzte Heussner und beugte sich über Insas Hand, die verwirrt seinen Hinterkopf betrachtete und nicht zu wissen schien, wie sie auf diese Begrüßung reagieren sollte.
Diesen Augenblick nutzte Aletta, um mit den Augen zu fragen, wie es zu diesem Gelage hatte kommen können. Jorit zuckte die Achseln, was ihr sagte, dass er es nicht hatte verhindern können und dass er sich entschlossen hatte, dabei zu sein, um notfalls Schlimmeres zu verhindern. Reiks Augen sprangen einmal in die äußeren Winkel, wo Willem Schubert saß und sich mit der nächsten Champagnerflasche abmühte, und sagten ihr, dass es ihm nicht gelungen war, den Oberleutnant von dieser Idee abzubringen, und er keine Möglichkeit hatte, sich dem Ranghöheren zu widersetzen. Er hatte ihm folgen müssen, ob er wollte oder nicht.
Anton Heussner machte einen Schritt zurück. »Gibt es irgendwo einen Raum, wo wir unter vier Augen miteinander reden können?«
»Im Aufenthaltsraum«, antwortete Aletta, »unserem früheren Wohnzimmer.«
»Donnerwetter!«, sagte Schubert. »Dirigent? Intendant? Können Sie, wenn der Krieg vorbei ist, vielleicht einen guten Pianisten gebrauchen?«
Heussner stand schon in der Tür, als Aletta sich entschloss, etwas zu sagen, was Insa hoffentlich verstehen und in Willem Schubert keinen Verdacht erregen würde. »Kennst du den Oberleutnant, Insa?«
Insa schüttelte den Kopf. »Nur Reik und Jorit.«
»Oberleutnant Schubert ist dafür verantwortlich, die Deserteure ausfindig zu machen, die sich immer noch irgendwo verstecken.« Sie nickte ihm zu, als beeindruckte es sie, dass jemand,der so gut Klavier spielen konnte, auch militärische Erfolge zu verbuchen hatte. »Einige hat er bereits gefunden.«
Schubert wurde von dem Knall des Champagnerkorkens abgelenkt, Insa durfte ihre Verwirrung in einem Geschirrtuch verstecken, mit dem sie den herausgesprudelten Champagner auffing, und Reik konnte Aletta erschrocken anstarren, ohne dass es auffiel. Er hatte also keine Ahnung gehabt, welche Aufgabe Willem Schubert auf Sylt erfüllte! Jorit war der Einzige gewesen, dem klar war, in welcher Gefahr sie schwebten. Und sie war ihm dankbar, dass er sich ihnen angeschlossen hatte, wenn er auch im Ernstfall wohl nicht in der Lage sein würde, Willem Schubert zu stoppen, wenn dieser einen Verdacht hegen sollte. Darauf kam es nun an! Keinen Verdacht in ihm zu erregen! Sollte er den Wunsch äußern, dieses Haus zu durchsuchen, würde niemand ihn hindern können. Und sollte er etwas sehen oder hören, was ihm verdächtig vorkam, würde ihn nichts davon abhalten, seinem Verdacht auf die Spur zu kommen.
Aletta fragte sich, wann Sönke sein letztes Opium bekommen hatte. Oder womöglich nur ein Beutelchen Aspirin, dessen Wirkung schnell verflogen sein würde? Wenn die Schmerzen einsetzten, schrie er oft so laut, dass es in der Küche zu hören war. Dabei hatten sie ihn schon so oft ermahnt, vorsichtiger zu sein!
Insa hatte sich schnell wieder gefangen. »Ich denke, ich werde jetzt schlafen gehen«, sagte sie.
»Kein Champagner mehr?«, fragte Willem Schubert.
»Nein, danke«, entgegnete Insa steif und folgte Aletta und Heussner aus der Tür.
»Sie können in Ruhe austrinken«, warf Aletta über die Schulter zurück. »Lassen Sie sich nicht stören.«
Sie winkte Insa mit einem eindringlichen Blick nach oben, damit sie dafür sorgte, dass Sönke frei von Schmerzen war und sich nicht durch lautes Stöhnen und Weinen verriet. Dann ging sie Heussner in den Aufenthaltsraum voran, in dem es abgestanden roch, weil er nur noch selten benutzt wurde. Es war kalt und ungemütlichdort,
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