Sturm über Sylt
Sie helfen ihm. Sie können bezeugen, dass Kais Tod ein Unglücksfall war.«
Nun veränderte sich sein Augenausdruck. Sein Blick wurde stechend, in seiner Miene erschien etwas Verschlagenes. »Das können Sie auch. Sie sind eine gefeierte Sängerin geworden. Ihr Wort zählt.«
»Aber ich war ein Kind damals. Was sollte ich nachts auf dem Friedhof von St. Niels zu suchen haben? Dann müsste ich verraten, warum ich mich dort mit Dirk getroffen habe. Wollen Sie das? Dirk will es nicht, das weiß ich genau. Er hat mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass ich nicht aussagen soll.«
»Wie könnte ich das erklären?«, fragte Boncke weinerlich.
»Sie sind ein gestandenes Mannsbild. Dem fällt schon was ein, warum er sich nachts auf einem Friedhof rumtreibt.«
Boncke schien an allen vier Wänden etwas zu suchen, was ihn daran hindern konnte, seinem früheren Geliebten zu helfen. »Wie hat er sich verteidigt?«, stieß er schließlich hervor.
»Er behauptet, Kais Tod müsse ein Raubmord sein. Er habe alles mitgenommen, um auf dem Festland sein Glück zu suchen, also auch Geld.«
Aus Bonckes Blick sprach Erleichterung. »Das muss man ihm glauben. Jedenfalls kann ihm niemand das Gegenteil nachweisen.« Und unsicher fügte er an: »Oder?«
Aletta zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wir haben Krieg, da werden die Entscheidungen schneller getroffen. Für lange Gerichtsverhandlungen ist keine Zeit.« Sie griff wieder nach der Bürste und machte deutlich, dass ihr Gespräch beendet war. »Überlegen Sie es sich«, sagte sie noch. »Sie haben nicht nur Weike, sondern auch Dirk im Stich gelassen. Dies ist eine Gelegenheit, beides wiedergutzumachen.«
Boncke sagte nichts darauf, Aletta blickte ihn im Spiegel nicht mehr an. Kurz darauf klappte die Tür, Aletta war allein. Während sie weiter ihre Haare bürstete, dachte sie daran, dass Boncke sich vermutlich noch nicht in Westerland hatte blicken lassen, um Weike nicht zu begegnen, dass er hier im Klappholttal geblieben war, um auch Dirk nicht über den Weg zu laufen. Also müsstedas, was er jetzt zu tun hatte, eigentlich auch für ihn eine Befreiung sein.
Ihre Haare glänzten längst, aber sie bürstete immer noch weiter, dachte an Ella, von der sie nach ihrem Auftritt im Alten Kursaal nichts mehr gehört hatte, an Ludwigs Schwester, von der auch kein Brief mehr gekommen war, an Jorit, der von der Sorge getrieben wurde, sie könnte ihn noch einmal ohne Abschied verlassen ... und schrak zusammen, als es an der Tür klopfte und sie sich noch einmal öffnete. Erschrocken fuhr sie herum, als sie den Mann erkannte, der in ihrer Garderobe erschien. Fassungslos sah sie ihn an.
»Guten Abend, Frau Lornsen. Schön, Sie wiederzusehen. Ist die Überraschung gelungen?«
Das Hotel »Zum Deutschen Kaiser« war voll von den Angehörigen der Inselkommandantur, man erkannte es, ohne das Hotel zu betreten, ohne überhaupt den Wagen zu verlassen. Die Fensterfront mit den üppigen Spitzengardinen war hell beleuchtet, in dem imposanten großen Saal herrschte Trubel. Der riesige Kronleuchter in der Mitte strahlte, das Bild des Kaisers, das an einer der beiden Schmalseiten angebracht war und bei besonderen Gelegenheiten beleuchtet wurde, konnte man von der Straße aus sehen.
»Ich denke, ich muss mich kurz dort blicken lassen«, sagte Aletta. »Alles andere wäre unhöflich.«
»Aber nur kurz«, antwortete Anton Heussner. »Danach möchte ich mit Ihnen in privater Umgebung sprechen. Vielleicht bei Ihnen zu Hause? Da werden wir ungestört sein.«
Dieser Vorschlag gefiel Aletta gar nicht, aber sie konnte ihn schlecht ablehnen. Insa würde eben akzeptieren müssen, dass sie den Wein, der noch im Keller lagerte, hervorholte, oder sie musste dem Gast einen Tee kochen, auch wenn es schon spät war. Das musste man einmal von ihr verlangen dürfen. Und wenn sie hörte, dass es um ein Engagement in Hamburg ging, würdesie vielleicht sogar erfreut sein. Eine Chance, dass die ungeliebte Schwester wieder aus dem Haus kam!
Heussner stieg aus und ging um die Kutsche herum, um Aletta behilflich zu sein. »Wie sind Sie nach Sylt gekommen?«, fragte sie, während sie ihm die Hand reichte. »Seit Kriegsbeginn kommt niemand mehr auf die Insel.«
»Ich habe meine Kontakte«, entgegnete Heussner lächelnd.
»Der Oberst?«
Er nickte und reichte ihr seinen Arm.
Anton Heussner war ein Mann von Ende fünfzig, klein, grauhaarig und völlig uneitel. Seine Liebe
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